Samstag, 28. Dezember 2013

Die wichtigsten Alben 2013 # 34: Foals - Holy Fire

Ich hab mich ja sehr gewundert, dass sich alle so gewundert haben, dass Phoenix so groß sind, dass sie als Headliner auf Festivals auftreten. Hallo? Hat irgendjemand diese Band in den letzten Jahren mal ernsthaft verfolgt? Und deren Omnipräsenz wie Unfehlbarkeit in Popsachen?
Ganz anders die Sache mit den Foals und ihrem Erfolg. Wann sind die denn so groß geworden? Wann hatten die denn mal einen Hit? Oder anders: Wann hat denn das letzte Mal gemerkt, dass diese Band nur Hits hat? Gut, sieht man nicht immer sofort. Diese Mathe-Geschichte auf der ersten EP und dieses "Techno mit den Mitteln einer Indieband" von der "Antidotes", die dadurch unheimlich tanzbar war, das hat auch die Indidiescomenschen beeindruckt, okay. Aber die Grandiosität des "Total Life Forever"-Albums, die haben die meisten doch gar nicht als so grandios wahrgenommen, oder irre ich mich da? Und sowohl "Miami" als auch "Spanish Sahara" haben doch niemals so viel Fame entfaltet, dass die jetzt auch so durch die Decke gehen mit Werbepartnern und Konsens für die Massen. Nicht, dass sie es nicht verdient hätten, aber wann ist das passiert?
"Holy Fire", so viel kann man sagen, ist das bisher schlechteste Album der Band. Aber es ist immer noch tolle Musik! Ich hatte ja den Schock von "Inhaler" (Wieder die Neunziger!) tief sitzen. Was soll denn dieser Dicke-Hose-Rock? Diese inkonsequente Funkyness in den Strophen? Und das doofe Skater-Video? Nein, das war echt nicht gut, und ich dachte, jetzt ist es aus mit uns. "My Number" war dann wieder so ein Stück, das auch auf "Total Lofe Forever" funktioniert hätte, arschwackelig und mit so lässigen Handgelenkbewegungen, wie man das kannte, mochte, wollte. Was sollte nun "Holy Fire" werden, Desaster oder Fortsetzung oder hä? Dass diese Unentschlossenheit und dieses Vage die Platte beherrscht, macht sie eben zur schlechtesten der Bandhistorie. An besten ist "Holy Fire" dann, wenn es wie "Total Life Forever" Teil 2 klingt, was angesichts dieser fantastischen Platte ein Ritterschlag ist, am schlechtesten wird es, wenn die Foals nicht wissen, wer sie sein wollen, ähnlich dem Bloc Party GAU von "Four". Denn beweisen müssen sie nur noch sich selbst was, und das führt Bands allzu oft ins Desaster. "Holy Fire" ist trotz aller Ambitionen kein solches, und das kann man weißgott nicht hoch genug schätzen.

Die wichtigsten Alben 2013 # 35: Bonobo - The North Borders

Ninja Tune ist ja in den letzten Jahren etwas hinter Warp und Hyperdub verschwunden, obwohl die auch seit ihren Anfängen diese verschrobene Version von Hip Hop Electronica zelebriert haben, die man manchmal als zeitlos zeitgemäß zu bewerten neigt. Warp hat mit Hudson Mohawke, Mount Kimbie oder Darkstar auch sein Spektrum an aktuellen Soundschaffenden ausgebaut, wobei die Ninja Tune Sachen beispielsweise von Lorn ein komisches Außenseiterdasein führten, obwohl die genauso gut die Bassmusik der Stunde liefern.
Bonobo hingegen fand ich immer etwas zu Neunziger, was ja auch irgendwie die Zeit von Ninja Tunes war. Jetzt dieses Jahr mit "The North Borders" hat sich das auch nicht so groß geändert, obwohl der Sound mehr Tiefe und Detail hat, als damals. Dennoch ist das Loungige und die Kompilationsfähigkeit vieler Stücke für "stylische" Kaffeehäuser auch hierauf vorprogrammiert. Der Unterschied zu vielen Produzenten aus dieser Egalmusikschublade ist bei Bonobo die Vielseitigkeit und der Wille, mehr zu sein, als Entspannungsfläche. Und so ist "The North Borders" in seinen besten Momenten nahe an den Sachen von Gold Panda und weniger nah an "Café del Mar". Stücke wie das fantastisch flirrende "Cirrus", das an Burial-Rhytmen angeschmiegte "Know You", oder die Weltraumreisen von "Antenna", "Ten Tigers" und "Transits" sind Entschleunigungsstücke am Puls der Zeit, ohne sich anzubiedern oder auch mal langweilig zu werden. Wenn du heute mit Fieldrecordingsamples nun wirklich niemanden mehr hinterm Ofen hervor locken kannst, dann brauchst du eben gute Kompositionen, und die hat Bonobo. Allein die Gesangsfeatures sind wie so oft im Electronica-Bereich ein Wermutstropfen und reißen den Flow des Albums ziemlich raus, auch wenn die großartige Erykah Badu hier ihre Stimme leiht. Un so ist "The North Borders"sicherlich kein Meisterwerk, aber dennoch eine Goldgrube neben der nächsten Großraumdisko, für die sich die Nachtfahrt von der Party weg mehr lohnt als der Nebel auf der Tanzfläche.

Die wichtigsten Alben 2013 #36: A$AP Rocky - Long.Live.A$AP

Schonwieder der Hip Hop, der tote, der ja mal sowas war wie der tote Punk, der Elternschreck halt, der heute Stadien und sogar das MoMA füllt, was soll denn das? Aber das Internet, das gute alte, das Ding mit dem Mash Up, das Ding mit dem Mixtape, das Ende das Albums (sort of), das Ding mit dem Hype im Hypertext, das beschert uns ja nicht nur dieses dauergehetzte Besserwissertum, das immer alles wissen muss, immer alles bewertet und eingeordnet haben muss, bevor es eben auch die Radiohörer wissen und einordnen können, zu denen ja irgendwie 98% der Facebookfreunde gehören, das Internet, wo "alt" wirklich eine abwertende Bezeichnung für Posts ist, das beschert uns auch diese ganze crazy Vielfalt an Dingen, die eben nicht nur von Schwarz tragenden Rotweintrinkern mit vermeintlicher Geschmacksversicherung als Subkultur goutiert werden. Und am meisten profitiert davon doch tatsächlich Hip Hop. Ja genau, die alte Tante.
Denn jetzt kann man endlich wieder Punk sein und zum Beispiel den großen Labels Fuck You" sagen, zeigen oder auch unterschieben. Demotapes landen nicht mehr beim Studioboss auf dem Mahagonitisch und verschwinden da, wo die Zigarrenkuppen hinfallen, sondern eben im Netz, wo diese Scouts sich durchklicken müssen auf der Suche nach dem Next Big Thing und so einen Unfug.
Und nachdem uns also das Netz auch die letzten Jahre super Typen wie The Weeknd, Kid Cudi oder die Sesamstraße auf Crack namens OFWGKTM beschert hat, ist auch der A$AP Mob so um 2011 hochgeschwemmt mit seinen Grillz, Goldketten und freien Oberkörpern. "Live.Love.A$AP" war ein großartiges Mixtape und wie so oft musste man wahnsinnig lange auf das "echte" Album von dessen Auteur namens A$AP Rocky warten (wie eben auf die Sachen von Earl Sweatshirt, Azelia Banks, Angel Haze und damals auch Frank Ocean, etc.). Und dann kam Anfang des Jahres mir "Long.Live.A$AP" die Einlösung des Versprechens und mal wieder die Rettung des Rap.
Und was soll man sagen: Rap wurde natürlich nicht gerettet. Was soll das auch immer, diese ganze Rettungssache, retten wovor? Vor der Beliebigkeit, Belanglosigkeit und Egalheit? Vor dem eigenen Erfolg? Vor Leuten wie Eminem oder Jay-Z? Das hat dieses Genre doch echt nicht nötig. Und so muss man auch "Long.Live.A$AP" nicht überfrachten oder gegen tolle Retterkonkurrenten wie Kendrick Lamar ausspielen, das wäre nämlich eben die Falle, die den Vorhang vor der Grandiosität dieser Platte verschließt. Denn allein diese Verdrogtheit der Beats, die irgendwer mal "Cloudrap" genannt hat und die nun auch Weißbrote wie Casper als Referenz nennen. Die Gradlinigkeit des Flows, der sich darin einpasst wie in einen Setzkasten, diese lässige StreetCred-Haltung, die nicht zu viel und nicht zu wenig will, nicht in Zynismus abdriftet aber auch nicht mal die Luft anhält. Und so Glanzstücke wie "Goldie", "LVL" oder "Phoenix" braucht es halt im Bling-Bling der Hall of Fame Vitrinen. Gut, dass die Features mit Skrillex oder Florence Welsh jetzt eher etwas mau und aufgedrängt wirken, dafür kann der Junge nicht zu viel, denn alleine hat er sowieso alles am besten im Griff. Wenn Drake und ebenjener Kendrick Lamar jedoch mit auf den Plan treten meckerst du doch aber auch nicht, oder?
Das Internet rettet so Hip Hop immer mal wieder, und nicht die Majors, die dem guten Rocky vielleicht viel Geld, aber weniger Freiraum beim Ausleben seiner Ideen lassen, als nötig, denn wenn etwas der Platte fehlt, dann ein wenig Stringenz, die das Album als Format vom Mixtape trennt. Aber sonst wünscht man dem guten A$AP Rocky dann doch das lange Leben, das er verdient. War ja auch Weihnachten.

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #37: Ghostpoet - Some Say I So I Say Light

Die Neunziger kommen wieder,u oder? Also die Retroversion der Neunziger. Hat jemand mal die Platte von London Grammar gehört? Die sind doch Anfang 20 und klingen wie die Musik, die der Entbindungsarzt vorher in seinem Auto gehört hat. Aber es kommen natürlich nicht alle Neunzigersachen auf ein Mal zurück, das wäre ja auch gespenstisch ohne Ende. Aber immerhin genug, um Trip Hop wieder zu einer sagbaren Schublade zu machen. Und eh Ghostpoet, der das Gespenstische und Lyrische ja nunmal schon im Naen trägt, wurde mir "Some Say I So I Say Light" auch gleich mal schön in diese Schublade geschoben. Aber, get this, nicht um ihn zu dissen, sondern durchaus hochachtungsvoll. Mancher mag bei den verschrobenen Slam Raps sicher an Tricky gedacht haben, der ja auch wieder aktiv ist und bei der Intro fast kotzen musste, als man ihm "Eurochild" vorspielte. Und Ghostpoet deklamiert auch eher als dass er rappt. Sprechgesang ist da wirklich mal ein angebrachtes Wort, so sehr es auch nach dem VDS klingt.
Nun zumindest ist Ghostpoet ein fein geschniegelter Herr, metaphernfreudig, belesen, gewitzt, enternainent und kunstvoll, und diese Platte trieft nur so vor Cleverness. Nenn es halt, wie du willst, aber da ist in jedem Fall eine lange Black Consciousness Geschichte mitgedacht, Guthrie, Davis, King, Chuck D, es schwingt immer ein Hauch von reflektierter Rebellion mit. Aber diese Rebellion steckt in den Worten, steckt in den Rhythmen und der Musik, die auch nicht halb so vernebelt klingt, wie die Trip Hop Assoziation glauben macht. Und so klingen stücke wie "Meltdown" oder "Dorsal Morsel" eher herzergreifend und mit Liebe gegen die Maschine gedichtete Poesie, denn die Metaphorik von Geistpoeten, Maschinensturm und Herzensflucht durchzieht diese Platte wie ein roter Faden. Computerliebe 2.0 trifft Rage Against The Machine auf einem Poetry Slam in Bristol. Mehr Neunziger wird es 2013 auch nicht mehr.

Dienstag, 17. Dezember 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #38: Modern Life Is War - Fever Hunting

Damals, diese unglaubliche Platte namens "Witness", diese anschwelende Aggression von Songs wie "The Outsiders" oder "Young Man On A Spree", diese rasenden Ausbrüche von "D.E.A.D.R.A.M.O.N.E.S.", all das war auf den Punkt und so unglaublich rund, dass Modern Life Is War zur Hardcore Legende per Instant Classic wurden. Und ähnlich wie deren Blutsbrüder Boysetsfire war 2013 das Comeback nach dem Split. Zwischenzeitlich hben sie, wie immer nach solchen Niveausprüngen, geschwächelt, jetzt reichen die Vergleiche wieder bis zu At The Drive-in, und das muss ja gut sein. In einer Zeit, wo in Emo getränkter Hardcore á la Touche Amore wieder salonfähig ist, wo Bands wie Savages den Hardcorediskurs wieder auf die todernste Seite der Moshpit ziehen, da können auch Modern Life Is War wieder wütend werden, ohne künstlich zu sein, die Punkwurzeln ihres Genres ausloten und für sich wieder eine Relevanz beanspruchen, die zuvor zu viel Orientierungslosigkeit produzierte. Dass sie das Spiel von Knüppelrock und Melodie beherrschen wie zuletzt die bereits erwähnten At The Drive-in, macht die Sache umso schöner. Viele Songs erinnern an "Chanbara" oder "Cosmonaut" in ihrer Dringlichkeit, aber nie als Zitat, sondern als Statement mit Stil. Hardcore und Punk mussten eh nie ironisch werden, sie haben die Dekonstruktion ohnehin erfunden und musikalisch übersetzt. "Fever Hunting" ist ein weiteres Beispiel dafür, dass diese Musik immer wieder zeitlose Präsenz entfachen kann, wenn sie will. Wenn am Ende alle im Ascheregen stehen und die Dinge klarer sind, dann klingt im Kopf alles nach dieser Platte, die nicht ganz zu Unrecht eine Speerspitze auf dem Cover trägt. Und deutlicher kann man eine Band wie Modern Lfe Is War nun wirklich nicht allegorisieren.

Montag, 16. Dezember 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #39: MGMT -MGMT

Ach, langweilig! MGMT, ihr seid so langweilig! Was fällt euch denn ein, die paar Radiohits zu machen und den kram mit den Models als Frauen, Drogen und Neonhippiegedöns zu veranstalten? Diese Hipsterparties in euren Videos. Diese snobby vernödelte Egalhaltung dazu, wie man eure Musik so findet. Und die versoffenverkifften Konzertabende mit euch, was soll das denn schon wieder? und dann natürlich die "Congratulations"-Platte mit, was, mit keinen Hits? Wisst ihr was? Ihr seid raus aus der Hall of Fame of Cool! Sollen doch die Leute von "Abgehört" nach jedem Schnipsel ihrer Undergroundhelden in eurer Referenzmusik suchen und sich diebisch darüber freuen, dass man sich mit Auskennern auskennt, dass man wieder Bands aufzählen kann, die Opa damals noch in der Dorfkneipe bedient hat vor ihrem Durchbruch oder dem Verschwinden in ewiger Versenkung der Archive. Denn das seid ihr doch auch: Archivare. Von irgendeiner Musik, die heute so grenzdebil klingt wie sie gemeint war, so dada und und schieflagig wie prätentiös und verkopft, und wem, ja wem wollt ihr denn eine Freude machen oder etwas beweisen damit?
Und jetzt eure selbstbetitelte Platte. "MGMT". Da lache ich doch, die klingt ja ewig gestrig und so sauschlecht produziert, dass ich erst dachte, meine Boxen sind kaputt, und dieses Lo-Fi-Gehabe lockt doch echt keinen mehr in den Begeisterungszwang, also echt. Eure komische Sci-Fi-Oper "Alien Days" gleich am Anfang, dieser Rumpelrhytmus, echt! Und diese komischen Instrumente überall, diese altbackenen Effekte wie auf "Mystery Disease", denkt ihr echt, ihr seid Syd Barrett mal Zwei, oder wie? Und echt? Querflöte? Ich schlaf gleich ein bei diesen ermüdenden Wortspielen wie "I love you too, death", haha, i get it, wirklich. Alles nur ein Gag, ein Witz, was zum Lachen und zum Spaß haben und wer nimmt euch denn eh ernst, wer legt denn eure Platten auf und sagt: "Herhören, Kids (jaja!), so klingt echte Musik, nämlich wie damals, und nicht so wie heute, auch wenn die von heute ist und so, aber egal!" Und die Kinder lachen und haben Spaß und rufen "Nochmal! Nochmal Cool Song No. 2!" und malen Regenbogen mit Fingerfarben und hauen wie verrückt auf ihre Casio-Kinderkeyboards und jetzt macht alles wieder Sinn, denn echt mal, wie sinnlos kann eine Band denn noch werden? Danke dafür.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #40: Shout Out Louds - Optica

Wir behaupten das hier ja so leich und sinnig, dass das jetzt aber wirklich DIE wichtigsten Alben des grandiosen, teils sogar weltbewegenden Musikjahres 2013 sind, die wir hier auflisten und abzählen, aber beweisen können wir es natürlich nicht. Und so lassen sich manche Sachen sicher als Namedrop mit kennerschaftlichem Blick funktionalisieren, andere als subversiv gemeinte Affronts und wieder andere aus diskursivem Pflichtgefühl.
Wenn jetzt und hier also vob mir behauptet wird, "Optica" der schwedischen Indiepopkönner Shout Out Louds gehöre zu den 50 wichtigsten Alben dieses Jahres, dann ist dies: Nichts von alledem.
Das liegt vor allem daran, dass a) die Platte nun wirklich niemandem weh tut, b) niemand sich ernsthaft gegen diese Band und ihre Musik stellen wird, so allgemeingefällig wie sie ist und c) "Optica" eine Teflonproduktion ersten Ranges ist, da bleibt nix dran hängen, glänzt alles und ist haltbar ohne Ende.
Der einzige Vorwurf, den man der Band machen kann ist: Die Shout Out Louds sind The Cure. Wirklich! Wenn das denn überhaupt ein Vorwurf ist. Das hat sich ja schon lange angekündigt, aber gerade "Optica" klingt streckenweise so nach "Disintegration" oder "Kiss me, kiss me, kiss me", dass es unheimlich ist. Aber das macht es ja nicht schlecht, nur gespenstig. Retromania, sei mein Gast.
Abgesehen davon liefert "Optica" nicht mehr den Kindergeburtstagsrock der ersten Platten oder den Blumenwiesenpop der ganzen Hitriege dieser Band. Dafür gibt es Halleffekte, Stücke über der Fünfminutenmarke, abgespacte Videos und eine aalglatt perfekte Produktion, kein Ausrutscher nirgends, da sitzt alles wie eine Out-Of-Bed-Frisur, für die du 30 Minuten vor dem Spiegel gebraucht hast. Ist das nun wichtig? Ist das nun relevant? Ist das nun auch ansatzweise interessant? Es ist auf jeden Fall eines: Ganz ganz großer Pop. Und das, mal ehrlich, ist doch immer zu gebrauchen.

Samstag, 7. Dezember 2013

Ansage #4: Adel

Wie schlau war es eigentlich von Adel Tawil, mit "Lieder" das gesamte Formatradio in einem Song zu verpacken, nur um dieses komprimierte Formatradio im Formatradio zu platzieren? Sozusagen "Das Beste der 80er, 90er und von Heute" als Inception? Das ist ja fast schon subversiv.

Donnerstag, 5. Dezember 2013

Zeitungsfriedhof Folge 2: Abfall

Es ist dieses befreiende Gefühl des Aussortierens, des Sich-Entledigens von Erledigtem, diese Schwerelosigkeit nach vollendeten Taten, wenn ich es schaffe, Zeitungen wegzuwerfen. In den Müll mit irgendwann ganz analogem Rechtsklick und auf "Endgültig leeren". Durchatmen. Leer sein. Neues aufnehmen können, aber erst bald, nicht jetzt, nicht sofort.
Der Kairos der Nachrichten im Verhältnis dazu, wann ich bereit bin, sie zu empfangen und, später, mich ihnen zu entledigen, steht ja nicht immer im guten Verhältnis zur Realität. Die Zeitung kommt ja aus einer, wie Nietzsche sagen würde, "Nothwendigkeit", aber tempus fugit, die ungelesenen Papiere aber nicht.
Gerade zum Beispiel warf ich schon meinen zweiten Politikteil am Tag weg. Ich war also ungemeim müllproduktiv, wenn man so will. Das fiel mir leicht, denn ich habe diszipliniert sortiert, was mich da an Artikeln interessiert oder auch, so ist das eben, was ich doch mal wissen müsste, wo ich etwas in Artikeln neu erschlossen bekomme, was in Moçambique zum Beispiel grade los ist oder die Rechtslage zur Prostitution, vor der man gerade kaum entkommen kann (der Meyer/Schwarzer-Komplex), und jedenfalls habe ich sortiert, selektiert, mich informiert, lektoriert und dann abserviert, und es war toll!
Ich kann es nur jedem empfehlen, eine Zeitung wegzuschmeißen. Durchblättern mit Bestimmtheit, genau scannen, wie so ein Algorithmus, sortierensortierensortieten, ein wenig lesen (nicht zu viel!) und dann weg damit!
Man erkennt sich und seine Neigungen dann auch sehr schnell, diese Gnosis te auton sollte man sich von Herzen gönnen, dieses absolut subjektive Weltverhältnis, das einem oft als so egoman oder autistisch gespiegelt wird, einfach machen und genießen! Ich werde gleich noch mehr Rubriken entsorgen, die ich nicht brauche: Finanzen, Reisen, Stellen, Essen und so ein Zeug, tschüß! Und schlecht muss man sich ja auch nicht fühlen, denn wenn eines gewiss ist in dieser Weltrisikogesellschaft, dann doch wohl dies: Die nächste Zeitung kommt bestimmt. Panta rhei.

Ansage #3: In Serie

In der letzten "Frankfurter Allgemein Sonntagszeitung" ist Albert Schäfer auf eine großartige Idee gekommen: Politiker nicht mehr als Menschen zu porträtieren, sondern als Serien. Grandios! Erstes Beispiel: Die "CSU-Serie [sic!!!]" namens "Alexander Dobrindt". Gewagter Einstieg in dieses neue Portraitgenre (es heißt jetzt zwar Porträt, ist aber unschön), gleich diese, wie soll man sagen, doch eher wenig augenfällige Serie zu nehmen. Aber was Schäfer da rausholt, macht sofort so zwingenden Sinn, dass keine Fragen offen bleiben. So ist "Alecander Dobrindt" auch schon weit über die ersten Staffeln hinaus, Schäfer kann sich so einer doch beeindruckenden Continuity und Figurenentwicklung mit ziemlich raffinierten Twists und einigen erinnerungswürdigen Cliffhangern widmen. Wie Dobrindt vom Schützenfestbesucher zum "Stadtneurotiker" wurde, von füllig zu schlank, vom Landes- zum Bundespolitikplayer, das ist wirklich eine tolle Dramaturgie, die auch Schäfer nicht entgeht. Und über allem der quasi-tragödienhafte Deus ex Machina "Seehofer", der sicherlich ein eigenes Prequel-Spin-Off verdient hätte, so geschickt erkennt Schäfer die Dynamik zwischen dem Protagonisten aus "Alexander Dobrindt" und seinem antagonistischen Fatum mit dem Vornamen Horst - die sogar so weit geht, dass laut Schäfer dieser Horst Seehofer die eigentliche Hauptrolle sogar in "Alexander Dobrindt" spiele. Dabei wird schnell klar, dass "Alexander Dobrindt" eine mehr oder weniger postmodern anmutende Meta-Serie ist, eine mit rollenspielenden Rollen-Spielern. Überhaupt ist die Prämisse der Serie so einfach wie genial: Dass der titelgebende Protagonist fast wie Zelig aus dem gleichnamigen Woody-Allen-Film seine Rollen wechseln kann, je nachdem, wie das Fatum es verlangt, dass er selbst akzeptiert, eine Rolle zu sein, da kann sich das Fatum Seehofer (der eine Art Showrunner-Figur ist, auch da erkennt man sofort die Metaebene der Serie) Skripte ausdenken, wie er möchte. Das führt dann an den Höhepunkt, dass Schäfer feststellt, wie Dobrindt schonmal als "Widergänger von Franz-Josef Strauß" in Erscheinung trat, damals, am Beginn seines Aufstiegs, wie doppelbödog die Autoren da dran sind, an dieser Figur und wie gut das der Berichterstattung über Politiker doch tut, wenn man sie nicht als Figuren, nicht als Schauspieler oder ähnliches begreift, sondern als ganze Serien, als Schauspielerschauspielerschauspieler, so ausgefuchst ist das doch, so hintergründig und so twistreich wie eine Mischung aus "Homeland", "House of Cards" und "Game of Thrones" - mit einer Prise "Friends" und manchmal auch etwas "ALF".
Und da wünscht man sich doch, dass ab jetzt nur noch über Dinge als Serie, diesem mächtigsten aller Paradigmen im neuen Jahrtausend, berichtet wird, damit diese nölige Autoritätsfixierung personalisierter Portraits irgendwann mal aufhört, damit man endlich auch wieder etwas mehr zu sagen hat als "Macht, Macht, Macht" und so, denn davon handelt die Serie "Alexander Dobrindt" doch, dass Macht nichts ist, was man hat, sondern was man macht - bis zu dem Punkt, dass man glaubt, Macht und Machen seien etymologisch enger verbunden als bisher geahnt. Und wer möchte nicht "Peer Steinbrück", "Volker Bouffier", "Cem Özdemir" oder "Petra Pau" oder die "Mad Men"-Varianten wie "Willy Brandt", "Walter Scheel" oder, natürlich, "Franz-Josef Strauß" gucken, diese Genresprengenden Retter nicht nur der TV-Ideenwelt, sondern auch des Politjournalismus? Und das jetzt, wo das goldene Zeitalter der US-Serien langsam versiegt braucht es doch neuen Stoff zum Bingevieweing - oder auch mal des Bingereading.

Die wichtigsten Alben 2013 # 41: Thundercat - Apocalypse

Es ist ja nichts Neues, dass R&B überall ist, warum auch immer und was auch immer das ist (Musikjournalismfail), denn diese ganzen Schubladen, diese Genres, die wachsen ja, Binsenweisheit, wie die Pilze aus dem feuchten Waldboden. Und R&B hat ja nun auch mal wirklich eine derart lange Tradition, eine derart volle Geschichte, dass man mit einigem Recht behaupten kann, dass er irgendwann mal sicher alles irgendwie infiziert hat. Außer Metal, vielleicht, aber wer weiß. Jedenfalls alles, was man gemeinhin so Pop nennen möge ist doch in den letzten 50 Jahren R&Bifiziert worden, und so machen auch die großen Großen wie Madonna, Beyoncé oder holsiemirher alle etwas aus dieser Schublade. Und wenn du bei den ganzen Castingshows nicht eine für dieses oder hart benachbarte Genres würdige Stimme hast ("Du hast echt Soul" hört man da doch gefühlt am ehesten als Kompliment), kannst du doch gleich zu Hause bleiben.
Na jedenfalls ist aber auch alles im Subgenre und für das Auskennerprogramm schon so weit, mit ständigen R&B-Referenzen beschmissen zu werden. Und "Apocalypse" von Thundercat, den man vorher eher als Flying Lotus Spezi kannte, ist da keine Ausnahme. Wenngleich Thundercat hier eher die Klassiker zitiert (auf dem Cover sieht der gute Mann aus wie eine Greaser-Version von Isaac Hayes) und in ein arty produziertes Elektroalbum reinpresst. Nichts also, was Daft Punk nicht auch irgendwie machen können, nur halt so ganz anders (und sicherlich auch nicht mit dem Glamour von Blood Orange). Und auch die Kooperationen mit Flying Lotus und seiner Idee von Sci-Fi-Jazzfunk merkt man dem Songwriting und dem Sound auf "Apocalypse" mehr als an (besagter FlyLo hat natürlich auch seine Finger an den Reglern" gehabt, wie man so gerne daherphrasiert). Und allein deshalb kann man "Apocalypse" überhaupt nicht böse sein, mit seinen Synthiebässen, Prince-Keyboards und dem geschmeidig verhallten Gesang über, klar, love und Konsorten. Das ist alles Reich an Ideen, an Varianten und Spielarten moderner Ideen der Rhytmusbluesjazzfunksoulpop-Geschichte mit Retrotouch und Futuresounds und allem drum und dran. Nich umsonst werden viele Psychedelic-Sci-Fi-Filme zitiert wie "Tron", "The Life Acquatic" (jaja, das ist Sci-Fi imho), "Enter the Void" oder "Evangelion" - ganz zu schweigen vom Weltuntergang im Titel. Der Sound löst ein, was das Programm verspricht, und so wirkt "Apocalypse" wie gutes Brainfood und gleichzeitig esoterisch wie der Mondkalender im Schrank meiner Mutter, lässig und verkopft zugleich, organisch, technisch, intelligent und ein bisschen dirty wenn es sein muss. Das macht es zwar langweilig, darüber zu schreiben, aber auf gar keinen Fall langweilig zu hören. Besonders dann, wenn mit "Heartbreaks+Setbacks" eigentlich einer der größten Hits des Jahres wie aus dem Nichts herausgeschossen kommt um wie ein guter Traum dann zu verschwinden. Hat keiner gemerkt, war aber fantastisch.

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #42: Kollegah & Farid Bang - Jung, brutal, gutaussehend 2

Es ruft ein Reporter mit quietschiger Stimmbruchstimme an, der gerne ein Interview hätte, aber Kollegah und Farid Bang haben es sich anders überlegt. Warum? "Weil mir zu Ohren gekommen ist, dass du ein kleiner Hurensohn bist."
Später eine Szene auf dem Schulweg und die Ansage an die kleinen Jungs mit Tornister und dem Traum vom Fame im Game: "Zieh deinen Ranzen aus, wenn ich mit dir Rede."
Das ist "Doitschrap" in der Gangstervariante 2013, und wer sollte den besser verteidigen als Hessen und NRW, jetzt, wo Berlin nur noch ein Zitat, ein Klischee, ja ein Witz geworden ist, von Bambi bis TV Total, von Buddy Ogün bis Carolin Kebekus. Und Witze, die kann und soll man jawohl nicht ernst nehmen.
Das wissen auch Kollegah und Farid Bang und reißen auf "JBG 2" eine Provinzposse aus der Hölle, zwischen Schulhofprank und Gangsterdrama, Fitnesstudio und U-Haft für den Lebenslauf. Und das alles als echte Gags zu bringen, ohne mit der Wimper zu zucken, die Ironie so fein zu verstecken und nicht im Zynikerwald dir den Baumstamm auf den Kopf zu knallen (wie z. B. KIZ es trademarkmäßig machen), das muss man erstmal mit Arsch in der Hose machen. Sonst verkommen Lines wie "Wir kommen aus Nordrhein-Westfalen in dein' Ort reingefahren" nur zur Blamage und zur holprigsten Raplyrik seit der Erfindung des JuZe-Rap. Aber auf "JBG 2" wird es eben nicht lächerlich, sondern ein Punch folgt dem anderen, eine Line nach der nächsten. Koks war gestern, heute wird sich auf "Steroidrap" aufgepumpt.
Die Themen, klar, sind auch hier der reinste Hohn. Auf alle, vor allem auf die anderen. Die Beats sind natürlich wieder wie durch den Kompressor und Hexler gedrehte Actionfilme, sicher. Und der Humor ist wie Nieveau am Bungee-Seil. Und gerade deshalb, und weil sie alles so perfekt bis ins Detail handlen, haben Kollegah, Farid Bang und "JBG 2" in 2013 das letzte Wort in Sachen Gangster Rap aus "Doitschländ". Faust drauf.

Sonntag, 1. Dezember 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #43: Cut Copy - Free Your Mind

Die Dauerwelle, ALF und E.T., die Clap statt Snares, der Zauberwürfel: Die Achtziger, ey. Genau das fällt mir so spontan und unoriginell zur neuen Cut Copy Platte "Free Your Mind" ein, die auch irgendwie den Neo-Hippie-Kram der späten Achtziger und frühen Neunziger aufgreift und alles in regenbogenfarben und Batik eintaucht, denn die Achtziger waren schon sehr retrofixiert, und Cut Copy sind eine retrofixiert retrofixierte Band, und das ist ja nun mal wirklich nichts Neues und auch nun mal wirklich nichts Schlimmes, wie uns die Fortschrittsdiktatoren um Simon Reynolds immer einreden wollen.
Und Cut Copy sind eine dieser komischen Fame-Bands, die Down Under voll riesig sind und Stadien füllen, die hier aber eher was für "Intro"-Leser sind, also Auskenner zum Nulltarif. Macht nichts, denn Cut Copy nehmen ja viele Fäden wieder auf, die von Bands wie New Order liegen gelassen wurden, und mixen da ihre eigene Version von LSD-House mit rein, und das ist immer und immer wieder sympathisch, catchy, witzig, fancy dancy und auch ein bisschen arty farty, aber nur auf diese ironische Art, wo das ja nochmal gut geht. Und irgendwie denke ich immer, alle kennen Cut Copy wegen irgendeines Werbespots, was ich jetzt einfach mal so stehen lasse, ohne das nachzugoogeln (wahrscheinlich mit "Take me over").
Bisher haben die Jungs immer schön abgeliefert, was man zum mitklatschen in skinny Jeans auf dem Tanzflur brauchte, besonders "In Ghost Colors" von 2008 ist in meinen Augen ein Meisterwerk des Dance Pop geworden, der Nachfolger "Zonoscope" war auch toll und als Nachfolger auch würdig. "Free Your Mind" ist zwar gerade erst draußen, aber der erste Eindruck ist doch irgendwie ernüchternd gewesen. Klar, da sind sie immer noch, die Hooks, Lines, die Claps und der Witz, dieses unbedingt Popgewollte und Hitgemachte, aber die Produktion, die Instrumentierung und das Songwriting ist dieses mal so dermaßen in your face billig gemacht, das alles riecht nach Plastik, aber nicht verbranntem, sondern ganz frisch und aus der Folie gewickelt, es riecht also nach den Achtzigern, dem Plastikjahrzehnt avant la lettre, und das ist ja auch nicht schlimm, das kennt man schon, und man gewöhnt sich daran, auch an das betont augenkrebsige Artwork, das wieder Hippietum und Geht-Ja-Gar-Nicht-Ästhetik Marke Zauberwürfel zusammenmischt, was ja okay ist, aber es fehlt doch im Gegensatz zu allen Vorgängerplatten das subtile und auch immer wieder, entschuldigung: modern übersetzte im Soundentwurf, im Songwriting, es fehlt der Twist in die Eigenständigkeit, die sich diese Band zuvor so hervorragend erarbeitet hat. Manchmal kommt es noch durch, wie in "We are Explorers", das echt lustige Ideen hat, und "Footsteps" ist ein echter Hit, der die House-Sounds der letzten 35 Jahre ineinander mischt, und so einen Quatsch wie "Mantra" muss man erstmal bringen. Aber insgesamt bleibt doch der Eindruck einer sich wenig freistrampelnden Band zurück, die älter wirkt, als sie muss, und die ihren eigenen Sound auf die uneigentlichen Elemente zu reduzieren beginnt. Dennoch ist "Free Your Mind" auch wieder stringent in allem, was es anfasst und rüberbringt und auch 2013 noch so merkwürdig zeitgemäß unzeitgemäß, dass es in seiner "Ein Schritt vor, zwei Schritte zurück"-Ideenwelt sich am Ende doch zusammensetzt wie ein, äh, Zauberwürfel. Auch wenn es ein paar Durchgänge braucht.

Samstag, 30. November 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #44: Biffy Clyro - Opposites

"Mach doch mal das Radio lauter" sagt man als Musikauskenner doch eher selten. Aber als ich damals in der WG-Küche stand und irgendwelches Gemüse für so eine Asia-Pampe zurechtschnippelte, da dröhnte es auf einmal wie nichts gutes per Gitarrenwand aus dem akkustisch doch sehr fragwürdigen Gerät ebenjener WG-Küche, und es waren wirklich Biffy Clyro mit "Stingin' Belle", und ich dachte "Hey, guck mal wer da wieder das Laut-Leise-Spektrum beherrscht wie keine zweite Band, naja, abgesehen vielleicht von Mogwai und Brand New damals, aber heyhey, das geht doch mal wieder klar", und ich habe mich bestimmt böse geschnitten bei der ganzen Ablenkung vom Gemüse. Denn was soll ich sagen? Damals, also wirklich damals, da hat uns Biffy Clyro doch alle wirklich umgeblasen mit der ganze Heftigkeit auf den ersten drei Platten, also zwischen "Blackened Sky" und "Infinity Land", und mit ihrem bis dato besten Album "Vertigo of Bliss", das wirklich hinter jeder Ecke auf dich gelauert hat um zu kratzen oder zu streicheln oder einfach nur irre oder herzlich zu lachen. Und sowas in Musik zu packen, dabei so zugänglich und bratzig gleichzeitig zu klingen, das haben echt nicht viele geschafft, und das ging doch irgendwie etwas kaputt seit, ja, nun mal wirklich seit dem Majordeal und der besten Foo-Fighters-Platte aller Zeiten, nämlich "Puzzles". Richtig böse war ich ja nur auf "Only Revolutions", das ich bis heute nicht mal mit dem Hintern angucken oder (wie auch immer das gehen sollte) anhören mag. Nee, also wirklich, das leingweilt doch zu Tode und jeder, der alles bis meinetwegen ebenjenem "Puzzle" gehört hat weiß doch, dass Biffy Clyro alles immer waren, nur nicht langweilig.
Und jetzt halt, autsch, ein Doppelalbum namens, originell, "Opposites", und das riecht nach Fehlschlag, riecht nach unnötig aufgeblasenem Zeug und ödem Konzept, das kann ja wirklich nur schiefgehen. Und, ist es schiefgegangen? Jein, muss man da ehrlich sagen. Die erste CD von "Opposites" ist wirklich, wirklich toll, für Fußball- und Kneipenfans ebenso wie Leute, die Kuschelrock echt noch für Rock halten. Und Biffy Clyro schmuggeln eben doch alte Gepflogenheiten wie Gitarrenwände und Doublebass ins sogenannte Formatradio rein, und allein dafür muss man ja schon dankbar sein, wenn es wieder biestig wird inmitten dieser trunkenen Seligkeit, die aus vielen Songs herauspfeift. Aber wenn sie so toll klingt, wie auf "Black Chandelier" oder auf "Different People", "Sounds like Balloons" oder "Modern Magic Formula", dann können wir uns dazu gerne im Pub in den Armen liegen, während Celtic gegen die Rangers spielt, dann können wir das Radio wieder lauter aufdrehen und dieser Band alle Fehler vergeben, zum Beispiel auch den, ein Doppelalbum gemacht zu haben, das nun wirklich keins sein muss, den sie ja mit einer quasi "Best-of Opposites" gegen Jahresende schon ausgeglichen haben. Immer noch fehlt die Stringenz von "Puzzle", weiterhin vermisse ich das Überraschungsmoment und die fast schon mad science mäßigen Einfälle aus dem Rocklabor, aber hey, dafür haben die nun wirklich schon drei Alben abgeliefert, die das in Perfektion ausgelebt haben, warum nicht jetzt also die Poprockformel perfektionieren? "Opposites" hat einiges zu bieten, das dafür spricht, dass dies demnächst passieren wird, aber wer weiß, vielleicht macht die Biffykatze auch mal wieder den Buckel, faucht und kratzt und wir prügeln uns dazu alle durch den Pub, um am Ende wieder zusammen eine Pint zu heben. Auch bei einem faden Unentschieden.

Freitag, 29. November 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #45: Julia Holter - Loud City Song

Julia Holter gehört sicher zu den Musikerinnen mit Klischeegefahr: Das mädchenhaft Verspielte und intellektuell befrachtet Geheimnisvolle von Musik und Haltung, Person und Auftreten, Albentitel mit Anspielungen an die griechischen Tragödien und eklektisch verjazzte Soundentwürfe im new wavigen Gewand tun da ihr Übriges. Einige Kritiker haben sich daher schon fast gefreut, als es dieses Mal nicht um Orpheus, Elektra oder Ekstase ging, sondern ganz schlicht um Los Angeles und den ganzen Krach, den man in so einer Stadt ertragen muss und der einen dann doch so komisch inspiriert.
Allerdings war es das dann auch schon an Veränderungen im Holterverse, denn immernoch ergehen sich ihre Songs eher als Kompositionen denn als Knallbonbons, was ja immer erst etwas unterkühlt und prätentiös wirkt, aber doch mehr Groove wagt, als zu erwarten gewesen wäre. Deshalb ist eine Holter-Platte zu besprechen auch musikjournalistisch so langweilig, denn natürlich ist das bis in die letzte Faser tolle Musik und natürlich ist die Holter herzerliebst in allem, was sie da so macht, und niemand kann sagen, das sei nicht ansprechend, es sei denn, man kann mit sowas eh nix anfangen, als Konzept, als Prinzip. "Horns surrounding me" ist beispielsweise so ein Hirnbiest von Song, nicht so fies wie "Marienbad" auf "Ekstasis", aber doch durchdacht und tricky, und wenn der sich zu einem Ohrwurmbastard steigert, wie so vieles auf "Loud City Song", dann weiß man doch, da wurde irgendwas richtig gemacht, und wenn auch gegen meinen Willen.
Ich wünsche mir manchmal halt, dass Holter demnächst was mit Katy Perry oder Pharell Williams oder so machen würde, damit sie nicht in Esoterik versinkt und es eben auch mal knallen lässt. Wie ihr Studiokollege John Maus, der ja auch so sein Ding fährt, der aber Konzerte wie tollwütige Karaokeperformances anstellen kann. Denn so ein ausuferndes, explodierendes Moment fehlt ihren Alben, und ganz besonders diesem hier, in dem es doch so oft anschwelend brodelt, um wirklich richtig zu begeistern. Aber wer weiß, es ist schon komischeres passiert in der Musikwelt...

Donnerstag, 28. November 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #46: Lady Gaga - Artpop

Da hat ja nun wirklich keiner mehr darauf gewartet, so ermüdet egal diskursiv war die Berichterstattung zu Lady Gagas drittem Album mit dem nun auch wirklich diskursiv egalem Titel "Artpop", da konnte man ja schon sehen, wie durch die ganze Sache mit dem Gender und dem Pop, dem angeklebten Schnurrbart und den wechselnden Perrücken ist. Und als Lady Gaga dann auch noch bei den MTVVMAs (gähn!) mit einem Meddley ihrer bisherigen Hits retrospektiv (und das heißt ja auch immer exzerpiert katalogisch) auftrat, da ging schon wieder die Verwunderung durch das Publikum, ob denn hiermit eine der letzten innovativen Figuren des Pop ihren Glanz und Motor an die selbstzentrierte Retromanie verschenkt hat.
Und das ist doch auch nur wieder diese ganze Oberfläche der Gaga-Figur gewesen, die vielleicht mit Koons oder Abramovic gut kann, aber auch die kratzen an Oberflächlichkeiten, bis dass alle erschaudern, und am Ende ist doch nicht viel da außer Pop Art und nicht vice versa. Denn seien wir mal ehrlich: So catchy die Musik der Gaga ist, so selbst- und traditionsbewusst die Madonna der 80er/90er da geplündert wird, ohne Hülle wäre doch das Interesse nie so groß. Rihanna zum Beispiel, wenngleich kein Typ wie Gaga, sondern eine Projektionsfläche, liefert doch genau deshalb immer den zeitgemäßeren Kram ab, was im Pop ja nunmal wirklich eine veritable Währungsgröße ist. Und so war auch das "Born this way"-Album eher ein Langweiler als ein Aufreger, was sehr schade war, denn die "Monster" EP war derart überraschend und toll geschrieben und performed, dass man mit mehr hätte rechnen können dürfen - war aber nicht.
Nun also "Artpop" und schon die Vorabsingle "Applause" war wieder bollerig auf Disco getrimmt, dass es zumindest wieder Spaß machte. Dann kam der komische SNL-Auftritt zu "Do what you want" mit dem merkwürdig rehabilitierten R.Kelly, der zugegebenrmaßen immernoch eine tolle Stimme hat die wie Butter in der Pfanne schmilzt, und als ich die Nummer das erste Mal im Radio hörte, dachte ich gleich "Hä? Ist wieder 2007? ist wieder Ed Banger?", so bekannt kam mir der Beat mit der Busy P-Schmiede vor, und ich muss ja sagen, ich finde das super, diese Knallelectro Bassmassage, aber zeitgemäß ist das doch nun wirklich nicht. Und die Ed Banger Beats, bzw. der 80er Einschlag von Record Makers Acts wie Kavinsky oder Danger ist auch das produktionstechnische Leitmotiv von "Artpop", und das ist doch nun wirklich Geschmackssache, ob man das auch 2013 noch mag oder nicht. Die zweite Konstante ist das Popthema schlechthin: Sex. Ob das heute noch so viele schockt oder erfreut, ob Gaga dazu einen tatsächlich relevanten, interessanten oder amüsanten Beitrag liefern konnte, das bezweifle ich schon eher grundsätzlich, aber das sollte man Popmusik evtl. auch nicht allzusehr zum Vorwurf machen, unpassend ist es jedenfalls nicht, so sehr wie hier alles geradeheraus wummert und wie tiefergelegt alles ist, wie aufgepumpt und hyperaktiv, und irgendwie, ja, wie auch immer: Es macht einen riesen Spaß. ich weiß auch nicht, wie sie es dieses Mal geschafft hat und was beim letzten Mal so quer schoss, aber "Artpop" ist auf jeden Fall keine "Art" und "pop" wird hier wieder groß geschrieben mit allem, was er in den letzten 10 Jahren zu bieten hatte. Das ist kein Zukunftsmodell und zeitgemäß ist es auch nicht. Aber genauso, wie man heute noch mit großem Vergnügen "True Blue" hören kann, so macht "Artpop", im Moment zumindest, ebensoviel Spaß - wenn einem der Diskurs wirklich mal scheißegal ist.

Mittwoch, 27. November 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #47: Haim - Days are gone

"I want do be a Haim-Sister!" ist einer der häufigsten Kommentare unter einem Video der besagten Haim-Schwestern, die als Band, natürlich (?) "Haim" heißen und irgendwie als die nächste coole Sau durch das Dorf getrieben werden, und das aber auch nicht seit gestern, ist immernoch Internet hier. Und das dann auch mit recht: Allein die Übersingle "Falling" mit ihren absolut zeitgemäßen Referenzen an den weißen Proto-R&B-Pop der Achtziger, gepaart mit dem absolut zeitgemäßen Hippietum der Familienband mit den langen Haaren, den Mittelscheitelfrisuren und der "We don't give a Fuck"-Attitüde, was du so meinst zu ihrer Musik oder was für Gesichter sie beim Bassspielen so machen, und das klappt, ja klar, wenn das nicht saucool ist, was ist es dann? Und wer zur Hölle freut sich da nicht auf das Album? Niemand!
Und genau das ist das Problem mit Alben wie "Days are gone": Die Erwartungen. Immer wieder verschoben, immer wieder vertröstet, dann die erschreckend einfallslos humpelnde Egalnummer "The Wire" kurz vorher veröffentlicht und schon ging ein großes "Meh" durch die Menge, andere unsägliche Instanzen des Geschmacks wie die "Abgehört"-Kolumne müssen da natürlich trotzdem am Ball bleiben gegen die Nörgler. Und womit? Ja was weiß ich denn!
Das Problem mit "Days are gone" ist dann aber auch genau das, dass es eben die Erwartungen nicht erfüllt, die man berechtigterweise an Haims ersten Langspieler hätte haben können, den die Schwestern wohl selbst hätten haben müssen (warum sonst verschiebt man ein fertiges Album so oft?). Un es bestätigt sich, was "The Wire" hat befürchten lassen: Nach dem Opener "Falling", dieser Übersingle, kommt nur noch Füllmaterial. Zwar wird die Formel "Fleetwood Mac plus Beyoncé plus Bananarama" weiter ausgespielt, aber oft genug kommt am Ende nichts überrschandes oder auch nur ansatzweise gewagtes heraus. Und das zieht erstmal alles runter bis auf den Grabbeltisch in zwei Jahren bei der Karstadt-Insolvenz.
Aber wenn man sich erstmal beruhigt hat, dass nicht ein Knaller nach dem anderen das Album schmückt, sondern durchaus solider, gefälliger, erstaunlich routinierter und knackig abgezirkelter Pop, dann kann man auch wieder warm werden mit "Days are gone", auch mal mitsingen, wo man vorher mit den Schultern zuckte, und zum Beispiel in "Honey and I", "Running if you call my name" oder "Go slow" richtige Perlen erkennen, die schon vor 30 Jahren als "zeitlos" hätten durchgehen können, und die über das Füllmaterial doch wieder hinaús die Strahlkraft entwickeln, die man sich von der Band gewünscht hatte. Und wie lässig die drei dann auf dem Cover in der Sonne sitzen, das ist dann doch wohl ein Coolnes-Versprechen, das die nächste Platte doch bitte etwas souveräner einlösen sollte. Bis dahin nochmal "Falling" auf Repeat stellen und bitte ausflippen. Und überhaupt, liebe Haim-Sisters: Never look back. Never give up. Thanks.

Donnerstag, 21. November 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #48: Boysetsfire - While a nation sleeps

Steffen schenkte mir damals im Studium ein ihm und mir viel zu großes Boysetsfire T-Shirt, das noch aus der "After the Eulogy"-Zeit stammte. Das Beste daran war auf jeden Fall der ebenfalls viel zu große Schriftzug "TEAR IT DOWN!" auf der Rückseite. Ich trug das Shirt forthin vor allem zum Schlafen und beim Sport oder eben auf Festivals, wo das Motto der Rückseite sozusagen das raison d'être war. Jetzt in 2013 komme ich irgendwie nicht umhin, dieses Riesenshirt als Metapher für die Band und deren nun nach Reunion erschienenen Album "While a nation sleeps" zu lesen. Und das muss ich jetzt natürlich begründen.
Boysetsfire sind ja im, ja wie soll man sagen, im Hardcore/Emo (sagt man eigentlich nicht mehr, noch weniger als Screamo, oder?)/Punk eine ziemliche Nummer. Besonders eben das bereits erwähnte zweite Album "After the Eulogy" ist sowas wie ein Szene-Monument (von welcher Szene auch immer). Danach kam erst der Majorvertragausverkaufsvorwurf mit dem doch ziemlich tollen Album "Tomorrow come today" und die Platte namens "The Misery Index: Notes from the Plague Years", die alles wieder hinbog und einen genreangemessenen merkwürdig langen titel trug. Das half ja nichts, denn die Band löste sich weniger später auf und das Comeback verpuffte mehr oder weniger. "After the Eulogy", so könnte ich jetzt rüberschwenken, wurde für die Band auch ein paar nummern zu groß, wie eben das dazugehörige Shirt.
Umso größer die Erwartungen, als zum Recordstore Day 2013 eine neue Single namens "Bled dry" veröffentlicht wurde, die wieder ordentlich wummerte und, wie das für Boysetsfire immer am besten war, ziemlich sauer war, besonders auf Politik, Politiker, die USA, die Menschen und Arrrrgh! So sauer, dass Obama im Video dazu lässig die Hüften schwingen muss (ein Video, das in seinem Pessimismus eine schöne Mischung aus Al Gore Powerpoint-Präse und Pearl Jams "Do the Evolution"  bildet). Und das war, entschuldigung, eine ganz schöne Ansage an das, was kommen wird. "Bled dry" hat dabei wieder so eine schöne "TEAR IT DOWN!"-Attitüde, dass es enormen Spaß macht, bei der Band wie der sowas wie genug Gatorade im Arm zu hören. Ein Versprechen an das Album, das "While a nation sleeps" leider nicht so recht einlöst.
Die erste Enttäusching ist, dass "Bled dry" gar nicht auf dem Album enthalten ist. Dabei hätte es das sehr verdient gehabt, gerade jetzt, wo die Band ihre Relevanz wieder mit Breakdowns und kreischenden Ansagenpassagen einspielen möchte. Das ist auch schnell klar, denn die ersten 5 Songs sind im Kern genau so angelegt (man höre solche, entschuldigung, Kracher wie "Until nothing remains" oder "Everything went black", bis dass mit "Save Yourself" eher radiotaugliches Geplänkel angestimmt wird, das in Zeiten von Foo Fighters und Rise Against in den tägliche Playlisten der Jugendformatsender keinen mehr so vom Hocker reißt. Und ab da gehts bergab mit der Platte (abgesehen vom großartig galleverseuchten "Wolves of Babylon"), vieles wird merkwürdig weichgespült, die Gitarren werden immer cleaner gestimmt und nach dem tollen Einstieg geht auch der Biss verloren, und damit auch irgendwie genau das, was Boysetsfire 2013 hätten abliefern müssen, genau das, weshalb alle von "Bled dry" so verdammt begeistert waren, denn mein Gott, was sind denn doch eigentlich alle furchtbar wütend, furchtbar ängstlich mit allem was ist, was da kommen könnte, dass gleich wieder alle konservativ wählen und bloß nix ändern wollen, weil Angst, weil Wut, weil Resignation, und wenn das nicht ein Existenzgrund für Bands wie Boysetsfire ist, die sowas musikalisch auf den Punkt bringen, dann weiß ich es auch nicht. Und so löst "While a nation sleeps" nur halb das ein, was Boysetsfire könnten, was sie 2013 auch noch relevant machen würde, was alle diese Band doch irgendwie hat vermissen lassen: Eine gleichzeitig wütende, traurige, merkwürdig echte, angstvolle und fast resignierte Platte wie "After the Eulogy" aufzunehmen. Aber vielleicht wachsen sie ja wieder rein in diese Größe.

Mittwoch, 20. November 2013

Die wichtigsten Alben 2013 #49: Drake - Nothing was the same

Drake hat ja immer dieses Softie-Image, und irgendwie wird der das auch nicht so richtig los. Erstens ist er ja Kanadier, da kann man bei den US-Boys natürlich erstmal nichts gewinnen. Zweitens singt er auch manchmal. Gut, da war er ja sowas wie ein Trendsetter, das machen jetzt ja einige und auch nicht so ganz erfolglos. Drittens singtrappt Drake ja über Gefühle, und das handelt einem dann so bescheuerte Etiketten wie "Emo-Rap" ein. Was soll das denn überhaupt sein? Selbst die tolle und wirklichwirklich schlimmdunkle Nummer "The Zone" zusammen mit Torontokumpel Weeknd hat da nichts verbessert. Aber wer seine Alben "Take Care" nennt, der sollte sich vielleicht auch nicht zu sehr wundern, dass er nicht ganz so hart rüberkommt, wie man das im Rapbusiness erwartungsgemäß tun sollte (man frag nur mal Eminem nach seiner "Marshall Mathers 2" Platte und warum).
Jetzt also 2013 und "Nothing was the same", und was soll man sagen: Tolle Platte. Drake war ja im Grunde auch nie ein Schlechter, nur ein Schlechtgemachter, und im Grunde steigerte er sich ja auch von Track zu Track (im Gegensatz zu Bruder im Geiste Kid Cudi) und so auch von Album zu Album. Der Pop-Approach immer mit im Gepäck und doch immer wieder den Bass tiefergelegt auf dem Kick im Beat. "Tuscan Leather" am Anfang packt dann auch alles produktionstechnisch auf die Waagschale: Chipmunkpitched Gesänge, Flow und Boomboxbeat und ein wenig mehr Selbsbeweihräucherung als gewohnt. Und gleich schielt einen Kanye West an, der ja seine etwas lowen Skills gerne durch wahnwitzige Produktionen kaschiert - und das mit enormem Effekt. Das sechsminütige Intro wird am Ende dann doch wieder soft, so isser. Merkwürdig stark präsent auch der Wu-Tang Clan mit etlichen Referenzen und sogar einem eigenen Song "Wu-Tang Forever", Capadonna-Mentions und einem "It's Yours"-Sample auf "Own it".
Kein Wunder: "Nothing was the same" ist auch eines dieser Fotoalben-Alben, wo sich der gute Drake mal hinsetzt und sich erinnert, wie das war. Nicht so holperig wie Sido bei "Bilder im Kopf" oder anderen, auch nicht mit der Durchschlagskraft der ersten Nas-Platten, die bis "Nastradamus" ja eine Art Evangelium in Rückblenden erzählten. Aber trotzdem mit viel Verve und angenehm entspannt und reflektiert, wie man das von Drake halt kennt. "Remember Motherfucker?"
Hier wird nicht viel neu erfunden, weder die Erzählfigur Drakes noch produktionstechnisch viel gewagt, und letztlich waren andere Interpreten dieses Jahr noch eher auf Höhe der Zeit als Drake, was Rap und seine Form und Funktion angeht (abgesehen vom Sampha-Feature auf "Too much"). Aber man kann doch recht zufrieden zur Kenntnis nehmen, dass "Nothing was the same" die bisherige Vollendung von Drakes Musik darstellt, und das ist ja auch nicht wenig. Und mit "Hold on, we're going home" hat die Platte zudem noch einen ordentlichen Hit mit Radioplay Overkill zu verbuchen. Sky is the limit.

Dienstag, 19. November 2013

Ansage #2

Wir wissen nicht, woher auf einmal diese ganze Prostitutionsdebatte kommt. Na gut, Alice Schwarzer, Frankreich, Emma, okay, aber woher, warum jetzt, warum das? Wie gesagt, wir wissen es nicht. Aber wenn wir den mit "Tun Sexarbeiter ihre Arbeit gern?" überschriebenen Artikel von Antonia Baum in der geliebten "FAS" lesen, dann fällt uns nur eine Weisheit von Lt. Frank Drebin (Spezialeinheit) ein: "Man tut nicht 'tun' gebrauchen."

Die wichtigsten Alben 2013 #50: Darkside - Psychic

Nicolas Jaar und und Steve Harrington sind Darkside. Jaar, der seit einigen Jahren im Grunde der Serge Gainsbourg des Deep House ist, mit seinem brummelnden Gesang über Szenen im Dunklen oder einfach nur leere Skizzen, begleitet von den mittlerweile wieder sehr salonfähigen Fieldrecording-Samples und Beats in Zeitlupe, wollte laut eigenen Angaben nicht mehr solo unterwegs sein. Das Ergebnis ist "Psychic", ein laut eigenem empfinden echtes Bandalbum. Dummerweise muss sich "Psychic" an einer zweiten Quasi-Veröffentlichung von Jaar und Harrington messen: Dem fantastischen Remix-Album zu Daft Punks "Random Acess Memories", das Darkside (unter dem "Haha!"-Namen Daftside) im Sommer auf Soundcloud unter die Menge brachten. Und irgendwie fällt "Psychic" demgegenüber stark ab.
Das erste Mal, als ich "Psychic" gehört habe, war ich schwer begeistert davon, wie Jaar seinen Soundkosmos erweitert und wie toll sich die meist um die sieben Minuten langen Stücke entwickeln. Überhaupt ist Jaar ja schon auf "Space is only Noise" vor allem durch grandiose Soundschnipseleien aufgefallen, hier ist das nicht anders. Und der verstärkte Einsatz von Rhythmusgitarre und anderen Bandelementen biegt das Ganze nochmal in eine ganz neue, aber irgendwie organische Richtung. Organisch nicht unbedingt, weil, wie eben bei Daft Punk, alles mit "echten" Instrumenten und "echten" Menschen eingespielt wurde, sondern weil sich alles so gut zusammenfügt. Allein der Opener "Golden Arrow" fasst das Album konzise zusammen und alles, was darauf an Wendungen und Instrumentierungen zu hören sein wird. "Psychic" ist dicht und eng geschnürt, das zeigen auch Songs wie "Paper Trails" oder "The Only Shrine I've Seen".
Das größte Manko für mich war, dass ich doch irgendwie zu oft dachte, nicht David Harrington, sondern Mark Knopfler wäre Jaars Bandkollege, so oft ist die Gitarre im Dire Straits Modus angestimmt, zu oft bewegt sie sich wie diese durch den Song, und irgendwie tut das dem Gesamtbild nicht besonders gut. Was "Psychic" zudem fehlt, ist die Abwechslung, denn letztlich bleibt alles im Detail, im Kleinen und im eigenen Rahmen. Das mag an guten Momenten eben sehr konzentriert wirken, in schlechten einfach nur redundant. Und an ganz schlechten Stellen wünscht man sich einfach nur, Darkside wäre ein Remixprojekt geblieben. Denn gerade im Vergleich mit der Daftside-Remixplatte zeigt sich, wie viel der Sound von Jaar/Harrington anderen hinzufügen kann, während ihm in der eigenständigen Variante genau dieses Fremdelement noch fehlt, um so zu glänzen, wie er könnte. So oder so bereichern Darkside die IDM-Szene so, wie man es von diesem Projekt erwartet hätte. The Force is strong in this one (entschuldigung, aber das musste sein).

Montag, 18. November 2013

Die 50 wichtigsten Alben 2013 - Intro

Das Jahr geht zuende und die Floskeln mit einem durch, denn es ist Listenzeit. Ja, Listen, diese ewig moderne Hierarchisierung des feinen und doch irgendwie völlig unsubtilen Geschmacks, dieses Diktat des "Besser/Schlechter" und der ewige Aufreger für unbedarfte Zeiten. Aber was soll ich sagen, das ist hier ja kein Leserpoll: Wir machen hier Ansagen.
Und natürlich ist auch das Ansagenfeuilleton ein Bestenlistenverfechter, ansagiger geht es doch gar nicht "Top 10" und "Top 3" und "Absolute Nummer Eins". Und natürlich haben wir auch zu dem abgelaufenen Musikjahr eine Meinung und natürlich ist die subjektiv und natürlich macht die nicht unbedingt immer Sinn, ob das jetzt auf Platz 36 oder 37 steht, das ist ja nunmal dermaßen willkürlich, das kann man doch so gar nicht messen, aber wir machen es trotzdem und es macht uns Freude, und Freude ist ja bekanntlich für jeden schön. Und so wird denn an dieser Stelle ab jetzt täglich auf eines der fünfzig wichtigsten Alben des noch nicht ganz abgelaufenen Jahres 2013 (allein diese Jahrestaktung, sowas arbiträres!) zurückgeblickt, denn seien wir mal ehrlich: Bald ist Weihnachten, und das heißt, es kommt nichts mehr außer "Best-ofs", Weihnachtskompilationen und Musicalsoundtracks. Und die haben es weißgottnie in eine solche Liste geschafft. Weißgottnie.

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Zeitungsfriedhof 1: Süddeutsche Zeitung

Es macht mich sehr traurig, wie schlecht es der Süddeutschen Zeitung bei mir geht. Da bekomme ich netterweise ein unkompliziertes Probeabonnement, denn mit ihren 2,30€ ist die sogenannte SZ (wie sich ja auch die Südthüringer Zeitung irritierenderweise nennt, es kann doch aber nur einen Süden geben, wo kommen wir denn da hin!) ist diese SZ doch die eher unerschwinglichere Tageszeitung, da können Sie jeden Fragen. Aber Qualität hat seinen Preis, wie wir ja auch in den Paywall-Debatten lernen, die gerade nicht nur welt-, sondern auch deutschlandweit den Journalismus retten, wofür wir nur in Dankbarkeit erstarren können (oder später darüber bloggen, aber das kostet ja zumindest Zeit).
Nun, diese Süddeutsche Zeitung ist von Qualität. Sie ist sehr handlich, das kann man sagen. Sie ist nicht besonders umfangreich und die Druckfarben färben nicht ab auf meine "A Song of Ice and Fire"-Exemplare, die ich parallel und aus Gründen der Zitationspraktikabilität immer mit mir herumtrage (vielmehr, und das ist man ja von US-Amerikanischen Druckerzeugnissen in taschenbuchformat gewohnt, verhält es sich umgekehrt). Mir gefällt auch durchaus der Schriftsatz, wenngleich ich das Gefühl habe, hier wird enger gedruckt, aber ich hatte noch nicht die Muße, hier Maß zu nehmen. Farbfotos sind ja ohnehin eine Errungenschaft des modernen Printerzeugnisses zur Tagesinformation, sehr angenehm, wenngleich auch nicht immer so sehr gewitzt und arty, wie es beispielsweise die sog. Taz oder sogar die noch sogenanntere Faz es machen (dass diese Abkürzungen berufsbedingt immer auf "Z" enden, finde ich persönlich sehr hässlich, aber da kann ja die Zeitung an sich nichts für, wenngleich sie sich auch irgendwas mit -spiegel oder, igitt, -blatt nennen könnte).
Irritierend sind da eher die Beilagen. München. Bayern. Okay, so ein bisschen Regionaltease, aber nee, echt, das muss mich hier doch nicht interessieren. Die Faz schmeißt sowas immerhin raus für die Nicht-Hessen, und das aus gutem Grund. Die bei der SZ wirken da irgendwie nur faul. Papiermüll. Und dann diese ganzen Extrahefte. Gestern erst ein "Chrismon Spezial" mit Margot Käßmann und Philipp Lahm auf dem Cover. Auf Kunstrasen. Sie lehnt stehend an einer Eckfahne, deren Fahnenstoff auch den für ihren Blazer lieferte (anscheinend). Er sitzt falschrum auf einem Stuhl, der wie aus einem Klassenzimmer geklaut aussieht daneben, was ihm einmal mehr die Aura des ewigen Schülers einbringt. Thema: "Was uns stark macht". Hä? Unten rechts preist ein Streifen an, ein Essay von Joachim Gauck, dem sog. Bundespräsidenten, sei auch im Heft. Nee. Also echt. Noch mehr Papiermüll. Auch nicht besser bisher waren ein Magazin zum "Golfen" (no joke!) oder das "Jetzt"-Magazin, in dem immerhin ein Dalek abgebildet und sonst nur weltfremde Themen mit weltfremden Menschen als nicht-weltfremd verkauft wurde. Der Papiermüll wird langsam voll.
Das oft so sehr geschätzte "Süddeutsche Magazin" hat mir auch nur Rätselfrust eingebracht, aber vielleicht bin ich ja auch einfach zu doof und/oder ungeduldig dafür. Und dann immer diese Werbung für teure Uhren. Hallo? Zielgruppe? Ich fühl mich gleich noch ekliger und spießiger. Irgendwie fehlt mir da dieser angenehme Zynismus im Blatt, dieses Dekadente, nicht immer diese Wohlfühlpampe, die wir aus einem für mich stilistisch ähnlichem Umfeld schon von der "Neon" immer wieder bekommen, so halb bedenkenträgerisch, so halb konsumorientiert und alles nur, damit ich am Ende mein Geld richtig ausgebe. Für einen Golfkurs zum Beispiel.
Aber ich schweife ab. Dafür gibt es ja in der SZ eine Extra-Rubrik: "Das Streiflicht". So eine Art anonyme "Post von Wagner" nur ohne Zeigefinger und Alkoholfahne. Mal sehen: Einmal geht es darum, dass der Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe nicht schön ist und die sog. "Deutsche Bahn" doof. Haha. Aha. Gestern ging es um einen italienischen Rentner, der einige Zeit 1 Cent zu viel Rente bezogen hat. Crazy! Dann lieber die Seite 3 mit ihrem deep shit. Aber irgendwie bleibt nichts hängen, nichts wühlt auf, irgendwie wirkt jede Seite 3 genauso notdürftig gefüllt wie andere Zeitungssparten. Überhaupt, dieses tägliche: gar nicht mein Ding. Und Journalist zu sein, wo das Tägliche schon den Namen gibt, das muss doch fürchterlich sein. Denk ich mir bei dieser Lektüre zumindest.
Das Feuilleton mit seinen meist nur vier Seiten ist erschreckend kurzlebig. Und sehr verwirrend. So viele Kurzrubriken. Und diese Musikkolumnen sind jawohl ein Witz, liebe SZ, das kann man doch so nicht einfach auslagern, den Pop, den Jazz, die Klassik oder whatever. Ist euch das keine ganzen Artikel mehr wert? Dass es keine gescheiten Feuilletondebatten mehr gibt, dafür könnt ihr vielleicht gerade auch nichts, aber die Mühen, irgendwelche anzuzetteln, die merkt man euch schon an. Zum Beispielen diesen Artikel über Filmlizenzen im Internet. Und den, der das doof fand. Aber irgendwie interessiert das doch keinen so richtig, oder? Wenngleich das Thema superwichtig ist (ja, Antonia Baum, es ist wirklich mehr als wichtig), irgendwie verpufft das dort. Irgendwie, also erklären kann ich das jetzt auch nicht. Der Rest ist vielleicht solide, aber auch da, irgendwie, liebe SZ, ich bin da jetzt keine Hilfe, und vielleicht ist das auch mein Problem allein, aber jeden Tag so etwas interessantes zu produzieren, manchmal muss ja auch nicht, aber irgendwie fehlt oft so ein Kniff, Twist, so ein Stilding wo ich denke: Okay, witzig geschrieben. Oder: Hey, kannte ich jetzt so auch noch nicht. Qualität, ja, was soll das denn sein? Ich werde zunehmend ratloser mit diesem Erzeugnis. Lieber nur noch Rätsel machen.
Das Traurigste ist doch, dass der Papiermüll wächst und wächst über diesen Ausschuss, der hier jeden Tag vor die Hunde oder die Säue geht. So ein Qualitätsblatt muss ja auch irgendwann auf den Papiermüll. Und so unoriginell das alles scheint, am Ende heißt es doch auch für die zweidreißigteure, beilagenträchtige, buntbebilderte und qualitätsversierte SZ: Asche zu Asche.

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Da muss doch was dran sein! Folge 1: Breaking Bad

Jesse Pinkman sitzt tief in der Scheiße. Nein wirklich, nicht metaphorisch. Also auch, ja. Aber darum geht es nicht. Es ist Breaking Bad. Metaphern sind nicht nur Metaphern. Sie sind auch immer konkret. No Shit (oder eben doch). Aber langsam.

[Spoiler bis S04E13]

Listen sind vielleicht einigermaßen Unsinn, Nutzerbewertungen ebenso. Aber wenn eine Serie auf imdb.com mit bis dato 347.224 Stimmen und 9,5 von 10 möglichen Punkten sich souverän den ersten Platz unter den TV-Serien überhaupt sichert (gleichauf mit der gleichbewerteten Dokumentationsreihe "Planet Erde"), noch vor Meisterwerken und Hochkarätern wie "The Wire", "Game of Thrones", "The Sopranos", "The Simpsons" oder "Twin Peaks", dann muss da doch etwas dran sein. Oder jemand eben eine sehr treue, sehr begeisterungsfähige Fanbasis haben. Was sich ja grundsätzlich nicht ausschließt.

Die Reden von den "besten Serien aller Zeiten" begleiten das Fernsehen seit geschätzt "Dallas". Nur hat sie sich in den letzten 15 Jahren mehrmals selbst überschlagen und im Kreis gedreht. Wenngleich gerade eine Art Innovationsflaute durch die Kanäle zu wehen scheint, oder Geniestücke wie "Person of Interest" eher unter Trivialitätsverdacht ferner laufen, scheinen sich alle bei "Breaking Bad" einig zu sein, dass die Platzierung auf der Spitzenposition aller TV-Serien aller Zeiten mindestens gerechtfertigt, wenn nicht sogar rechtmäßig verdient sei.

Ich habe erstmals von "Breaking Bad" gehört, als ich auf Amazon Serien-DVDs durchwühlte. Nicht etwa bei, sagen wir, "Dexter" oder "Mad Men", auch nicht bei "Malcom Mittendrin" oder ähnlichem, sondern bei "How I Met Your Mother" wurde mir diese Serie damals empfohlen. "Aha", dachte ich. Auf dem Cover war ein Mann mit Unterhose und Pistole, mitten in der Wüste. Es war der Chemielehrer Walter White, so las ich, der Krebs bekommt und aus versicherungstechnischen Gründen ins Drogengeschäft einstiegt. Ich dachte erstmal an "Weeds" und dann wieder an die Unterhose und den doch sehr slapstickhaften Ausdruck von Bryan Cranston auf diesem Bild, das die erste Staffel als Cover zierte. Schwarzer Humor, soso. Mit eben Slapstick. Maybe later.

Das ging dann immer so weiter, Amazon schmiss mir das Zeug hinterher, jetzt auch noch bei "Dexter" oder "Mad Men", nichtmehr bei abflauenden Sitcoms, in denen Cranston ja nunmal zunächst hauptbeschäftigt war. Die Botschaft an mich war klar: "Jetzt wird es ernst." Nicht nur in der Serie, auch mit dem Nachdruck, der hinter diesen Empfehlungen steckte. Na gut.

Die ersten drei Folgen waren fantastisch. Wenngleich doch ein stark konstruierter Fall ging es gleich zur Sache, und im Handumdrehen mussten Walter und sein Partner in Crime Jesse Pinkman eine Leiche beseitigen und eine Geisel im Keller irgendwie klarkriegen. "Hui", dachte ich, "jetzt wird es wirklich ernst!" Und so ging es auch weiter, immer tiefer in die Hölle, in die Jesse und Walter so schnell sackten, wie die Säure durch Jesses Haus, die er benutzen wollte, um eine Leiche in der Badewanne aufzulösen. Ekel, Suspense, Gewalt und wahnsinnig tolle Schauspieler, eine clevere Prämisse und ein Look wie in trockengelegten Rockvideos - die Serie hatte mich. Und als in der letzten Folge auch noch Heisenberg, Walter Whites Alter Ego im Drogengeschäft, einen grandiosen Auftritt hatte, an dessen Ende ein ganzes Haus in die Luft flog mitsamt seines wahnsinnigen Drogenbosses Tuco war dies ein fantastisches Finale. So einen Anstieg an Spannung und an Verstrickung innerhalb von nur sieben Folgen hatte ich kaum gesehen.

Und leider war es das auch erstmal.

Ab dann nämlich schien die Serie ihren Drive zu verlieren und ich musste meine Umwelt damit nerven, wie penetrant konstruiert ich das Ganze fand. Turning Point war schon die Episode "Gray Matter" aus der ersten Staffel, die an sich toll war, aber die Figur Walter White für mich unplausibel machte. Denn nun stellte sich heraus, dass er eigentlich ein hochambitionierter Chemiker war, dessen ehemalige Geliebte Gretchen mit seinem ehemaligen Studienkollegen Elliott Schwartz auf Grundlage seiner Arbeiten an der Uni ein erfolgreiches Pharmaunternehmen mit ordentlich Profit aufgebaut haben. Walter fühlt sich um seinen Verdienst betrogen. Okay. Und als Gretchen und Elliott anbieten, für seine Krebstherapie zu zahlen lehnt er ab.
Dieser Moment machte die Figur White nicht mehr tragbar, denn wie stolz kann man eigentlich sein? und wenn er das Gefühl hatte, die Schwartz' schuldeten ihm etwas, warum nimmt er es dann nicht an, wenn sie es ihm geben wollen? Es ist nicht so, als wäre das unplausibel erzählt, gar nicht. Aber es entfernt jeden Funken Mitleid, den man zuvor mit White haben konnte, und auf den die Serie doch sehr setzt, um das ganze Dilemma des armen, krebskranken, ausgebeuteten und underachieving Walter White darzustellen. Hätte White das Geld angenommen, die Serie hätte nichts mehr so recht zu erzählen gehabt, es sei denn, sie hätte einen Weg gefunden, Walter den einmal in der ersten Episode eingeschlagenen Weg nie mehr verlassen zu können. Und nun, da er sich einmal gegen die ihm doch auch nach seinem empfinden zustehenden Zuwendungen und für das Drogengeschäft entschieden hat, so dachte ich mir zumindest, dann bist du halt selbst schuld an allem, was jetzt kommt. So prinzipiell. Der selbstgewählte Abstieg in die Hölle konnte beginnen. Tat er aber nicht.

Die zweite Staffel Breaking Bad ist mit der am schlechtesten konstruierten Spannungsbogen, den ich bisher gesehen habe. Für eine Serie, die offensichtlich einen hohen Anspruch an ihre eigenen Einfälle hatte, war dies kaum zu verzeihen. Und diese schlechte Konstruiertheit nervte. Zwar fing alles spannend an mit Entführungen, Shootouts und einer knapp verhinderten Enthüllung Whites als Heisenberg durch seinen Schwager Hank, der, natürlich, DEA-Agent und Walters und Jesses Crystal Meth Operation auf den Spuren ist. Ab dann wird es alles eine Seifenoper mit grandiosen Schauspielern. Familienprobleme, Arbeitsplatzprobleme, Drogenprobleme, Gesundheitsprobleme, Beziehungsprobleme. Nicht unrealistisch, aber immer retardierend. Tragisch, aber doch irgendwie nicht das, was die Serie bisher erzählt hatte. Und darüber hinaus steigerte ihre konkrete Metaphorik ins prätentiös-billige. Wenn man hier in der Scheiße landete, dann auch mal eben ganz wörtlich. Okay, I get it! Und derart offensichtliche und belanglose, aber um keinen Preis belanglos erscheinen wollende Bottle-Episoden wie "4 Days out" in der zweiten oder "Fly" in der dritten Staffel waren nicht nur ärgerlich, sondern verschwendung wertvoller Erzählzeit die nicht nur keinen Funken zur laufenden Dramaturgie beitrugen, sondern diese sogar aus heiterem Himmel unnötig zum erliegen brachten. Das Finale der zweiten Staffel, auf das in Rückblenden immer weiter hingearbeitet wurde, sollte ein Knall sein, verpuffte aber kläglich, da es als Metapher zu plump, als Kausalität zu unplausibel und gewollt, als tatsächliches Erzählereignis zu egal war. Es brachte schlicht nichts in der Serie voran und zeigte auf gänzlich augenfällige Art, wie wenig die Serie in der Lage war, das in der ersten Staffel noch so grandios hochgehaltene Tempo zu halten. Und so musste ich bis Staffel 4 warten, dass endlich die Ereignisse eintraten, mit denen ich schon in Staffel 2 gerechnet hätte. Warum?

Weil die Serie in meinen Augen sich niemals entscheiden konnte, was sie sein wollte: Tragödie, Satire, Soap, philosophischer Essay, Filmtripp, doch eine Komödie, Mafia, Thriller, Sozialstudie? Was andere Serien mit Leichtigkeit in ihr Konzept integrieren konnten (und letztlich muss sich "Breaking Bad" immer an "The Wire", "The Sopranos" und "Six Feet Under" messen lassen, da es sich permanent aus deren Ingredienzien zusammenmischt), bekommt "Breaking Bad" erst gegen Ende hin, wenn es sich ganz zum Thriller mit comichaften Momenten hocharbeitet. Dazwischen laviert sie sich von Szene zu Szene, Episode zu Episode, ohne einen kohärenten Ton anzuschlagen. Das mag jetzt arg modernistisch klingen, letztlich hat aber auch diese Serie nichts anderes verlangt, als eine Art Downward Spiral mit stetigem Abstieg zu zeichnen. Klassisch tragischer geht es kaum. Insofern hätte sich diese Serie mehr Gedanken über ihr Erzählkonzept machen sollen als über etwaige Farbspiele.
Das wurde für mich auch daran deutlich, dass die Serie offensichtlich nicht wusste, auf welche Figuren sie sich konzentrieren und in was für einem Weltentwurf sie leben möchte. Serien wie "The Wire" oder "Game of Thrones" haben ja mit Bravour vorgemacht, wie man eine ganze Welt bis in das kleinste und niemals unwichtige Zahnrädchen hinein zeigt und nachvollziehbar macht. Bei "Game of Thrones" macht dies allein der Vorspann deutlich, worauf sich die Serie konzentriert: Ausuferndes World Building. "Six Feet Under" war ein Genistreich in Figurendynamik. "Breaking Bad" kann sich nie zu dem einen oder anderen entscheiden. Es muss sich ja nicht ausschließen, eine Welt zu entwerfen und sich dabei auch noch auf einen figürlichen Mikrokosmos zu konzentrieren. Nur schafft "Breaking Bad" dort bis zur vierten Staffel keine Balance herzustellen. Was als Figurendrama beginnt schert über die ersten drei Staffeln immer recht plötzlich zu Nebenschauplätzen aus (das Kartell in Mexiko, Saul Goodmans Welt, Walters Schule oder zuvor eingeführte Nebenfiguren und ihre Geschichte), lässt dann aber viele angefangene Stränge unmotiviert liegen. Am tragischsten wohl im Falle von Mike Ehrmantraut, der zuvor als PI im Dienste des Strafverteidigers Saul Goodman eingeführt wird, dann aber plötzlich Hitman, Mentor, Großvater und Mittelsmann von fast allem, was um Walter un Jesse herum passiert ist und zwischendurch Gegenspieler-Operationen aus Asien im Alleingang ausschaltet oder sich im Gefriertransport nach Mexiko fahren lässt, um dort auf einen Hinterhalt des Kartells zu warten. Und dann wird er wörtlich einfach blutend liegengelassen für das Finale von Staffel 4. Ein ganzer Charakteraufbau für nichts, durch Drehbuchwillkür aus dem Spiel genommen. Auch so verpufft Dynamik, verschleißen Figuren und verliert die Welt von "Breaking Bad" die Dimension, die sie haben könnte. Vieles bleibt Behauptung, auch Walters Überlegenheit, wenn er mehrere Staffeln lang wie ein Tier im Edelkäfig eingesperrt versucht, aus dem Hamsterrad auszubrechen. Er ist und bleibt angestellter der versucht, die Konsequenzen seines Handelns einzudämmen, anstatt, wie noch in der ersten Staffeln, angefixt vom Erfolg Schritte unternimmt, um sich in immer höhere Stufen vorzuarbeiten. Die fünfte Staffel könnte das endlich liefern, es sieht vielversprechend aus, aber es hat zu lange gedauert. "I am the Danger, I am the one who knocks", sagt Walter in einer auf Poster und Tassen oft reproduzierten Szene. "Are you, though?", wäre die angebrachte Gegenfrage. Denn bis dahin schien mir das mehr übersteuertes Wunschdenken als tatsächlich der Fall zu sein. Und so behauptet die Serie mehr, als sie zu erzählen wagt oder im Stande ist.

Ich kenne das Ende noch nicht. Nicht richtig. Ich bin gerade in der vierten Staffel, die beste bisher, und hoffe, dass diese Serie irgendwann den Wow-Effekt einlöst, den mir alle Freunde, Facebook-Freunde, Amazonrezensenten und IMDB-Kritiker dieser Welt versprochen haben. Was bleibt, ist bisher eine gute Serie mit spannenden Momenten, teils großartigen, vielen prätentiösen Szenen und einem zu großen Willen zu und zu wenig Vermögen zu cleverer Konstruktion, die sicher alles ist (und sein will), aber nicht eins: Die beste Serie aller Zeiten. (Denn die ist wohl wirklich "The Wire". No Shit.)

Zeitungsfriedhof: Eröffnung

Gerade hat mich die Süddeutsche Zeitung versucht zu erreichen. Zumindest sagt mir Google das, nachdem ich diese merkwürdig lange, mir unbekannte Nummer auf dem Telefondisplay dort zu orten versucht habe. Was die SZ von mir wollte weiß ich nicht, kann es mir aber denken: Zu meinem Umzug kürzlich schenkte mir die Deutsche Post netterweise ein paar Coupons für Probeabonnements. "Schön", dachte ich, "Zeitungen".

Ich mag Zeitungen. Und wenn es allenthalben heißt, Print sei tot, dann sind mir Zeitungszombies noch lieber. Freihaus und ohne Kündigungsfalle oder dergleichen. Man musste halt nur eine Telefonnummer angeben um gefragt zu werden, wie man denn die Zombies so finde, die einem da nun für zehn oder vierzehn Tage aus großer Güte und ein wenig Eigennutz zugestellt werde.
Ich kann dazu leider nichts sagen, denn hier stapelt sich einfach nur alles. Besonders seit der Buchmesse in Frankfurt, in der ich den Eintrittspreis in Papierwert heraustragen konnte, komme ich doch mit dem Lesen gar nicht mehr hinterher. Und was denken sich diese Zeitungsmacher eigentlich, wer Zeit dafür haben sollte?
Unverschämterweise heißt sowas dann ja auch noch irgendwas mit "Tag", "Täglich" oder "Times" und es macht mir ganz schön Stress, dass morgen wieder der nächste Zombie in meinen Briefkasten wandert, wo ich den vom Vorvortag nichtmal ordentlich beerdigt habe. Jetzt stapeln sich hier die Zeitungsleichen und ich krieg schon Druck, das langsam aus dem Haushalt zu entsorgen, denn das lese doch eh keiner.

"Doch", denke ich da trotzig, "ich lese meine Textleichen, soviel bin ich ihnen und den ganzen Textleichenfabrikanten schuldig, die sich doch tatsächlich erhoffen, jeder würde täglich so viel lesen. Und mich interessiert das doch auch wirklich, was vorgestern über vorvorgestern geschrieben wurde."

Und so wird diese Woche nicht nur gelesen, sondern auch noch darüber geschrieben, was so liegengeblieben ist und vielleicht mag es sein, dass Print tot ist, dass die Zeitungen mit ihren Redaktionen und ihren Anzeigen sterben, und wenn es eben Leichenfledderei sein sollte, was sich daraus ergibt, immerhin nehme ich mir mal ein bisschen Zeit zu lesen. Denn woher zum Teufel soll man die sonst auch haben?

Sonntag, 18. August 2013

Randnotizen der Traurigkeit I: Tanz das Windrad

Da schlägt man nichtsahnden das Feuilleton der FAS auf, heute, am 18. August 2013, schön nach dem Ausschlafen (war ja auch nötig, diese Mückenplage nimmt einen ganz schön mit), und obwohl die Frühstückspartner erstmal natürlich Tee und, zwecks Übermüdung, die "Quadratortour" machen wollen (gekontert meinerseits durch eine ausgiebige Lesung der "Herzblattgeschichten", haha, Witzrubriken unter sich), schielt das andere Auge schonmal ins Feuilleton. Und da steht in den "Nackten Wahrheiten" doch tatsächlich drin, wie Volker Weidermann sich gerne mit Ijoma Mangold über etwas streiten möchte, am besten über Bücher, aber dass das irgendwie schwer ist, weil Mangold gerne einen Kanon "von Homer bis Borges" lesen möchte, im Ruhestand dann, so in 20 Jahren oder so (wann genau man Kritiker im Ruhestand wird, das weiß ja niemand so recht, meinen doch viele, das sei eine innere Disposition und man kommt nie zur Ruhe, man liest ja immer und befindet immer über das, was man liest und Internet und so, da kann man ja auch mal reinschreiben, wie man befindet, selbst wenn der Feuilletonchef irgendeines Printorganes zum Textverfassungsangebot unverschämterweise "Nö" sagen sollte). Da könnte man jetzt erstmal rätseln, warum der Kanon von Homer bis Borges geht, alphabetisch müsste es ja umgekehrt sein, chronologisch müsste man annehmen, dass nach Borges nichts kanonisches mehr käme, und auch das macht schon wieder traurig. Keiner streitet und nach Borges nur noch Grützenliteratur, nichts Ruhestandtaugliches.
Und als wäre das alles noch nicht trist genug erzählt Weidermann von einem Streit, den Mangold und er mal hatten: Über Botho Strauß und die Windräder, gegen die er kämpfe. Nun wird auch nicht näher erörtert, welche Windräder dies der Meinung der Kritiker nach seien und wer diese "schön" fand und wer nicht und warum überhaupt, aber unter uns, das ist ja auch gar nicht interessant. Und dann schreibt Weidermann wo das war: "[A]uf einer Tanzfläche und nicht im Feuilleton."
Die Traurigkeit, die einem bei diesem Bild überkommt, ist kaum mit Worten zu erfassen. Man muss sich die Szene mal vorstellen: Da stehen Mangold un Weidermann auf einer Tanzfläche und unterhalten sich über ästhetisches Befinden bei der Lektüre von Botho Strauß. Was für ein Club mag das gewesen sein, welche Party? Was lief denn da für Musik, während dieses Streitgespräches? Haben Weidermann und Mangold etwa dazu den Twist getanzt, während sie stritten? Gab es auch da Schnaps in rauen Mengen? Man hofft es natürlich inständigst.
Am passendsten wäre natürlich, hätten beide ein ordentliches Hardcore-Konzert besucht. Nicht nur, dass dort eine vermeintlich aggressive Grundstimmung zum guten Ton gehört, nein, auch elaborierte Tanzbewegungen wie das "Windrad" (bei dem man ausgiebig, die Hände zu Fäusten geballt, die ausgestreckten Arme kreisen lässt) sind dort mehr oder minder gern gesehene Dancemoves. Zumindest bei den sogenannten "Tough Guys". Und, ganz ehrlich, dieses Bild ist das einzige, das diese traurige Szene ein bisschen weniger traurig macht. Wie Mangold und Weidermann da pogend, toughguymäßig nochmal die Youth Crew raushängen lassen, wie sich langsam die blauen Flecken anbahnen und auch mal ein Bier über Köpfe verschüttet wird, während man so ganz nebenbei, etwas mehr schwitzend als sonst, darauf kommt, dass Botho Strauß ja auch etwas schönes an sich hat, mit seinen Windrädern, und dass man doch echt mal wieder sich ordentlich fetzen könnte, in der Wall of Death der Literaturkritik, die auch schonmal härter war und mehr weh tat als der ganze neue Kram. Und deshalb, um den Sonntag vor dieser betroffenen Schwere zu retten (vielleicht liegt es auch am starken Kaffee), ein schöner Clip von Hatebreed: Destory Everything. Für das Morgen der Literaturkritik.

Montag, 5. August 2013

Donnerstag, 25. Juli 2013

PRISM, Harold Finch, Chuck Bartowski und die Notwendigkeit einer Übersetzung

Wir haben es ja alle schon immer geahnt:

"Headbone connected to the Neckbone/ Neckbone connected to the Armbone / Armbone connected to the Handbone / Headbone connected to the Internet /connected to the Google / connected to the Government"

So schallt es einem im Intro "The Message" der Platte "Maya" von M.I.A. entgegen. Das war 2010. Nun ist M.I.A. nicht dafür bekannt, eine differenzierte politische Haltung zu haben, sondern eher eine, sagen wir, sozialromantische, um nicht zu sagen naive. Ernst genommen hatte das damals niemand so recht. Jedenfalls niemand, der selbst ernst genommen wurde. Wer sich circa ein Jahr später die Serie "Person of Interest" von Jonathan Nolan und J. J. Abrams zu Gemüte führte, hörte dann regelmäßig folgenden Monolog der Hauptfigur Harold Finch im Intro (und konnte auch sicher bald mitsprechen):

"You are being watched. The government has a secret system: a machine that spies on you every hour of every day. I know, because I built it. I designed the machine to detect acts of terror, but it sees everything. Violent crimes involving ordinary people; people like you. Crimes the government considered 'irrelevant'. They wouldn't act, so I decided I would. But I needed a partner, someone with the skills to intervene. Hunted by the authorities, we work in secret. You'll never find us, but victim or perpetrator, if your number's up: we'll find you".
Beruhigend klingt eigentlich anders. Was in den Neunzigern noch "Akte-X-Paranoia" hieß, muss in den Nullerjahren und wie auch immer unsere Jetztzeit heißt anders genannt werden. "Person of Interest" bringt diese neue Paranoi auf den Punkt - mit einem Twist. Denn was Harold Finch und seine Exekutive, Ex-CIA Mann John Reese, veranstalten, ist Vigilantentum durch die Hintertür. Was Finch, ein humpelnder Millionär, der einsam in einer Bibliothek lebt, einst als "The Machine" für die Regierung (wer oder was auch immer das ist) konstruierte: Er wollte nicht, dass es für ihre Zwecke benutzt wird (vordergründig: Big Data Korrelationen zur Verhinderung von Terrorismus). So baute er sich eine "Backdoor" in das System ein, in dem die Maschine ihm eine Sozialversicherungsnummer ausspuckt für irgendjemanden der oder die demnächst in ein Verbrechen verwickelt sein wird. Finch und Reese versuchen, dieses Verbrechen, das noch nicht geschehen ist, zu verhindern Linda wies mit einigem Recht darauf hin, dass das Ganze doch sehr paternalistisch daher käme, klar. Was Reese und Finch im Kleinen machen, das machen alle Aniterror-Menschen, die auf der Grundlage von Big Data operieren im vermeintlich Großen: Alles auf Verdacht, alles, bevor es passierte. Minority Report trifft Batman, das trifft es eigentlich ganz gut. Und so bildet "Person of Interest", ein Narrativ, das selbst bisher nur Verdacht, also eher fiktiv, war, die Janusköpfigkeit dieses Vorgehens ab: Paranoia heißt nicht nur Angst vor Überwachung und Verschwörung gegen die Person (des Interesses), sondern auch die Angst vor dem, was passieren könnte, was sogar wahrscheinlich passieren wird, dass es passiert und dass es nicht verhindert wird.

Irgendwie macht es den Anschein, als würde niemand so recht begreifen, was Echolon, PRISM und Tempora eigentlich ist, was es bedeutet, und manchmal, wenn man in die Feuilletons, die wertgeschätzten, hineinlauscht, scheint es, als würde man sich das alles nur über Filme, Bücher, Serien und andere Bilder aus der Welt des Erzählten begreiflich machen können. Als würden George Orwell, Tony Scott, Jonathan Nolan oder Philipp K. Dick uns, ob Zeitgenossen oder nicht, irgendwie übersetzen können, was gerade in real life passiert, was schon länger passiert ist, aber jetzt vor uns steht wie ein unfassbar echter Albtraum. Und alle reagieren, wie man gegenüber soetwas halt reagiert: wie versteinert, weil man es echt nicht fassen kann.
Wenn Antonia Baum in der FAS gerne hätte, dass endlich jemand an ihrer Tür klingelt, der ihr auch hinterherspioniert, wie uns allen hinterherspioniert wird (uns allen, das muss man erstmal schlucken, allen. uns.), damit das alles ein Gesicht, einen Namen, etwas konkretes bekommt, dann ist das Ausdruck dieses diffus Unbegreiflichen, das zwar Projektnamen und eine irre Story hat, aber eben nicht begriffen werden kann, noch nicht.

Wir brauchen eine Übersetzung.

Aber Harold Finch ist eine schlechte Übersetzung. Nicht wirklich schlecht, aber eben auch nicht der Kern der Sache. Finch glaubt an die Emanzipation seiner Maschine im Rahmen der liberalen Ethik (sein Gegenspieler namens "Root" glaubt auch an die Emanzipation der Maschine, aber nach den Regeln der Maschine selbst - die weder Finch noch "Root" ganz begreifen). Beide denken in Problemen von Heute mit den Mitteln von Gestern (auch das, so scheint es, ein generelles Problem dieser Debatten über Maschinenmacht und -träume). Zwar glaubt auch sicher in der NSA der eine oder andere an die emanzipative Kraft ihres Programms, dass letztlich alle in Sicherheit frei und in Freiheit sicher leben können. Irgendwann. Aber was das mit uns zu tun hat, interessiert da anscheinend nicht. Wir sind eben keine interessanten Personen als Personen, sondern nur als Verdachtsmoment in einer großen Datensammlung. Insofern liefert "Person of Interest" doch einen interessanten Code: Alle sind zunächst eine Nummer aus dem System. Bei der NSA und ihrem Big Data werden wir es auch weiterhin bleiben, Finch und Reese sind auf der Suche nach der Geschichte zur Nummer. Strukturalismus reversed - und damit wieder etwas sozialromantisch.

Eine, zumindest für mich, ziemlich genaue Übersetzung dessen, was hier eigentlich, und sei es nur abstrakt, abläuft, wenn die Glasfaserkabel, vollgestopft mit unseren Nachrichten und Daten, angezapft, zu Daten gebündelt und Profilen, Stochastiken und Mustern verknüpft werden, liefert die Serie "Chuck" von Josh Schwartz, die von 2007 bis 2012 auf NBC ausgestrahlt wurde.
Chuck Bartowski ist ein normaler IT-Guy mit geringen Ambitionen, zwar gut ausgebildet aber im Geiste dem Slackertum verschrieben. Call of Duty zu spielen ist wichtiger als über die Ex-Freundin hinwegzukommen und etwas aus seinem Leben zu machen. Manche werden es "Nerd" nennen, die Serie tut es auch.
Doch Chucks Leben ändert sich, als ihm sein alter Erzrivale aus College-Zeiten, Bryce Larkin, eine E-Mail schickt. Bryce ist mittlerweile bei der CIA angelangt und stielt ein geheimes Intelligence-Programm namens "Intersect", in dem alle den Geheimdiensten verfügbaren Nachrichten und Wissensbestände in einen suggestiven Bildcode übersetzt wurden. Diesen Code schickt Bryce an Chuck, der sich so unwissend, nach Betrachten des Codes, als menschlicher Computer die "Intersect" ins Hirn brennt. Da Bryce die einzige "Intersect"-Kopie gestohlen hatte, wird Chuck so zum singulären Speichermedium des Programms: Nur er verfügt noch über das Wissen von CIA und NSA, nur er kann es, jedoch unfreiwillig, abrufen: In sogenannten "Flashs" erkennt Chuck auf einmal Gesichter, Details, Zusammenhänge, Hintergründe auf Grundlage der "Intersect"-Daten.
PRISM ist im Grunde nichts anderes als das "Intersect"-Programm: Eine größtmögliche Ansammlung von Daten und Zusammenhängen. Auch bei der "Intersect" kooperieren CIA und NSA gemeinsam. Um die "Intersect", und damit auch Chuck als Medium derselben, zu schützen, bekommt er mit Sarah Walker (CIA) und John Casey (NSA) zwei Beschützer an die Seite gestellt, die fortan Chuck auf ihre Missionen mitnehmen müssen, da nur er fortan über die nötige Intelligence verfügt. Interessant dabei, dass gerade John Casey als Verkörperung der NSA den patriotischen Konservativen gibt, der sich mit seinem Reagan-Portrait unterhält und immer wieder knurrend den Impuls verspürt, den Menschen Chuck Bartowski aus dem Weg zu räumen - wofür er auch mehrmals die Order erhält, sobald der Eindruck entsteht, das "Intersect"-Programm sei wieder in den Händen der Geheimmdienste. Sarah Walker hingegen wird das zentrale Love Interest der Serie und versucht mehrmals, sich und Chuck als liebende und fühlende, selbstbestimmte Menschen aus den formalen Strukturen der Geheimdienstarbeit, die sie nur notgedrungen angefangen hat, zu befreien. So wandelt die Figur Chuck in den Augen seiner Begleiter zwischen maschinellem Medium und empfindsamem Menschen daher. Chuck selbst will nur eines: Die "Intersect" loswerden und selbstbestimmt leben. - und lieben.
Warum ist nun "Chuck" so eine gute Übersetzung dessen, was im Angesicht von PRISM und Co. passiert? Auch Chuck wird Opfer der Intelligence-Arbeit von NSA und CIA: Dadurch, dass er, in einem nun interessanten Twist, über alle Informationen verfügt, die NSA und CIA besitzen (und nicht, wie bei PRISM, diese alle Informationen über normal guys wie Chuck), wird er zu deren Spielball - nicht als Mensch, sondern als Informationslieferant. Die Geheimdienste interessieren sich für die Daten, die er liefert, aber nicht dafür, was dieses Interesse mit seinem Leben macht. 
Als IT-Guy der "Nerd Herd" hat Chuck ein pragmatisches, alltägliches Verhältnis zu Informationstechnologie. Mehr noch: Er repariert dieses. Was erst unspektakulär klingt, wird im Kontrast schärfer: Chuck nutzt Maschinen nicht aus, sondern hält diese am Laufen. Er ist nicht das Ende der Kommunikationstechnologie, sondern er restauriert sie. 
Der andere interessante Punkt ist, dass Chuck immer darum bemüht ist, sich von der "Intersect" zu emanzipieren. Erst, wenn der Computer, wenn die Daten aus seinem Kopf verschwunden sind, kann er Sarah, und mit ihr die CIA, überhaup terst lieben. Wenn die Maschine, die Datensammlungen, das Formale und Funktionale aus dem Menschen gestrichen werden, bleibt so nur noch der Mensch Chuck - Telos dieser ganzen Heldenreise, die zwischen Nerd-Märchen und -Albtraum changiert: Der Mensch mit seinem Leiden, seinem Lieben, seinem Sehnen und seinem Alltag - der Mensch also, der die NSA und die CIA, der die Algorithmen und Server überhaupt nicht interessiert.
Will der Big Brother (ein übrigens schlechtes Behelfsbild für PRISM) geliebt werden? Dann kann er nur von Menschen geliebt werden. Das lehrt "Chuck", wo jederzeit der Mensch der Maschine und der Datenmenge vorgezogen wird. Auch das ist alles vielleicht romantisch, humanistisch, gedacht. Aber es sagt letztlich viel darüber aus, und hat vielleicht das zentrale Problem dessen vorausgesehen, was die Reduzierung der Person auf Daten mit uns anstellt, was sie vergisst und was sie nicht wissen kann - weil sie es nicht wissen will. Und was sie dadurch verliert: Den Menschen selbst.


Sonntag, 21. Juli 2013

Eine Falle für Prof. Dr. Bernd Lucke

Als vor einigen Wochen die Sommerpause nicht nur wettertechnisch, sondern auch redaktionell über uns ganz offensichtlich hereinbrach, entschloss sich die Feuilleton-Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) in einem grandiosen Coup, ihre Arbeit auf Politiker abzuwälzen, die einen Fragebogen mit dem rührend emphatischen Titel "Was sehen, hören, lesen Sie?" auszufüllen die Muße fanden. Dort wurde nach Lektüren von Rainald Goetz ebenso gefragt wie nach lebensverändernden Filmerlebnissen und der Haltung zu Hedi Slimanes Logo-Kürzung bei Yves-Saint-Laurent. Soweit, so bieder. Die Seiten, die sich so fast ohne Zutun redaktionellen Inhaltes mit den immergleichen Fragen und den immer langweiligeren Antworten füllten, lasen sich an einem verkaterten Sonntag (der von mir erst in der Bar Ludwig, dann im Blow Up eingeleitet wurde) ganz hervorragend und mit genau der intellektuellen Anstrengung, die einem Post-Bier-Frühstück angemessen schienen. 
Es sollte sich doch eine Woche später herausstellen, dass das ganze eine Falle war. Nicht für Peer Steinbrück, dessen Einsilbigkeit geradezu trademarkmäßig einschlug, auch nicht für die praktizierende Protestantin Katrin Göring-Eckardt, die ihr Leben zwischen der Lektüre von "loslabern" und Kirchentagliedern erschreckend formidabel einzirichten scheint. Die Falle, die gestellt wurde, galt einzig und allein Prof. Dr. Bernd Lucke von der "Alternative für Deutschland" (AfD).
Mir jedenfalls fiel Luckes Antwortschema genug aus dem Rahmen, um kurz über den Kaffeerand aufzuschauen. Lucke brauchte also keinen Ratgeber, und wenn dann Loriot. Lucke heißt also nicht Claudia Roth, weil noch nie ein Film sein Leben verändert hat. Lucke findet es schwierig, Millionär zu werden und spielt in seiner Partei erste Geige. Und dann sind auf Kirchentagen auch noch alle wirtschaftswissenschaftliche Geisterfahrer. Okay, soweit, so langweilig. Der wird sich nicht viel dabei gedacht haben, denke ich mir, wenn er denn nicht so wie ich nicht allzuviel geschlafen hatte. Kommt vor, gerade im Wahlkampf. Da kann man sich auch mal schön in den Garten setzen und einem etwas ausgestanzten Fragebogen mit pennälerhafter Spitzfindigkeit entgegentreten. Hat der ja auch so gewollt. Oder?
Eben nicht. 
Eine Woche später, am 7.7.2013, veröffentlichte Timo Frasch in der "Meinungs" Sektion seine Meinung, und die lautete: "Nein, diesen Lucke wähl ich nicht". Und warum wählt Frasch diesen Lucke nicht? Weil er sich so arrogant und besserwisserisch in diesem Fragebogen der FAS verhalten hat. Gut, das ist halt eine "Meinung". Aber auf der nächsten Seite, die den Meinungen der Leser*innen überlassen wird, war ein Leserbrief mit fast haargenau gleichem Inhalt zu entdecken.
Gut, da musste etwas dran sein. Und es ist ja auch Wahlkampf. Lucke musste das wissen. Frasch wusste das. Die Leserbreifschreiber*innen wussten das. Wusste Lucke es nicht? Konnte er nicht ahnen, dass ihm eine falsche, eine blöde, eine hochnäsige oder abwegige Antwort Stimmen kosten würden? Nun wissen wir nicht, ob Frasch oder die Leserbriefschreibenden zuvor ihr Kreuz ganz sicher bei der "AfD" gemacht hätten. Aber wie viele Redakteure, wie viele nichtartikulierte innere Leserbriefe an Lucke und sein Antwortverhalten werden ähnlich gedacht haben wie Frasch? 
Nun muss man Lucke sicher nicht in Schutz nehmen vor dem Feuilleton der FAS oder ihren Politikredakteuren, schon gar nicht vor einem Leserbrief. Dass harmlose Fragen jedoch nicht nur harmlose Antworten hervorbringen, so unbedarft sie auch gestellt, so albern sie auch beantwortet werden mögen, das war das eigentlich Perfide an einem Fragebogen mit dem rührend emphatischen Titel "Was sehen, hören, lesen Sie" - dass er unterschwellig immer mit "Wen mögen, schätzen, wählen wir" übersetzt wird.

Wir vom Ansagenfeuilleton

Wir vom "Ansagenfeuilleton" (Rainald Goetz) werden es uns zur Aufgabe machen, kein Wischi-Waschi in die Welt zu posaunen, sondern wir machen Ansagen: Wie es läuft, wie es ist, wie es sein sollte, was man haben muss, was zu wissen ist, wie man sich zu verhalten hat und was einen interessieren müsste. Punkt. Keine Ironie. Kein Labern. Einfach los, drauf. Auf: Den Punkt.

Bleiben Sie dran, es wird spannend.