Donnerstag, 24. Oktober 2013

Zeitungsfriedhof 1: Süddeutsche Zeitung

Es macht mich sehr traurig, wie schlecht es der Süddeutschen Zeitung bei mir geht. Da bekomme ich netterweise ein unkompliziertes Probeabonnement, denn mit ihren 2,30€ ist die sogenannte SZ (wie sich ja auch die Südthüringer Zeitung irritierenderweise nennt, es kann doch aber nur einen Süden geben, wo kommen wir denn da hin!) ist diese SZ doch die eher unerschwinglichere Tageszeitung, da können Sie jeden Fragen. Aber Qualität hat seinen Preis, wie wir ja auch in den Paywall-Debatten lernen, die gerade nicht nur welt-, sondern auch deutschlandweit den Journalismus retten, wofür wir nur in Dankbarkeit erstarren können (oder später darüber bloggen, aber das kostet ja zumindest Zeit).
Nun, diese Süddeutsche Zeitung ist von Qualität. Sie ist sehr handlich, das kann man sagen. Sie ist nicht besonders umfangreich und die Druckfarben färben nicht ab auf meine "A Song of Ice and Fire"-Exemplare, die ich parallel und aus Gründen der Zitationspraktikabilität immer mit mir herumtrage (vielmehr, und das ist man ja von US-Amerikanischen Druckerzeugnissen in taschenbuchformat gewohnt, verhält es sich umgekehrt). Mir gefällt auch durchaus der Schriftsatz, wenngleich ich das Gefühl habe, hier wird enger gedruckt, aber ich hatte noch nicht die Muße, hier Maß zu nehmen. Farbfotos sind ja ohnehin eine Errungenschaft des modernen Printerzeugnisses zur Tagesinformation, sehr angenehm, wenngleich auch nicht immer so sehr gewitzt und arty, wie es beispielsweise die sog. Taz oder sogar die noch sogenanntere Faz es machen (dass diese Abkürzungen berufsbedingt immer auf "Z" enden, finde ich persönlich sehr hässlich, aber da kann ja die Zeitung an sich nichts für, wenngleich sie sich auch irgendwas mit -spiegel oder, igitt, -blatt nennen könnte).
Irritierend sind da eher die Beilagen. München. Bayern. Okay, so ein bisschen Regionaltease, aber nee, echt, das muss mich hier doch nicht interessieren. Die Faz schmeißt sowas immerhin raus für die Nicht-Hessen, und das aus gutem Grund. Die bei der SZ wirken da irgendwie nur faul. Papiermüll. Und dann diese ganzen Extrahefte. Gestern erst ein "Chrismon Spezial" mit Margot Käßmann und Philipp Lahm auf dem Cover. Auf Kunstrasen. Sie lehnt stehend an einer Eckfahne, deren Fahnenstoff auch den für ihren Blazer lieferte (anscheinend). Er sitzt falschrum auf einem Stuhl, der wie aus einem Klassenzimmer geklaut aussieht daneben, was ihm einmal mehr die Aura des ewigen Schülers einbringt. Thema: "Was uns stark macht". Hä? Unten rechts preist ein Streifen an, ein Essay von Joachim Gauck, dem sog. Bundespräsidenten, sei auch im Heft. Nee. Also echt. Noch mehr Papiermüll. Auch nicht besser bisher waren ein Magazin zum "Golfen" (no joke!) oder das "Jetzt"-Magazin, in dem immerhin ein Dalek abgebildet und sonst nur weltfremde Themen mit weltfremden Menschen als nicht-weltfremd verkauft wurde. Der Papiermüll wird langsam voll.
Das oft so sehr geschätzte "Süddeutsche Magazin" hat mir auch nur Rätselfrust eingebracht, aber vielleicht bin ich ja auch einfach zu doof und/oder ungeduldig dafür. Und dann immer diese Werbung für teure Uhren. Hallo? Zielgruppe? Ich fühl mich gleich noch ekliger und spießiger. Irgendwie fehlt mir da dieser angenehme Zynismus im Blatt, dieses Dekadente, nicht immer diese Wohlfühlpampe, die wir aus einem für mich stilistisch ähnlichem Umfeld schon von der "Neon" immer wieder bekommen, so halb bedenkenträgerisch, so halb konsumorientiert und alles nur, damit ich am Ende mein Geld richtig ausgebe. Für einen Golfkurs zum Beispiel.
Aber ich schweife ab. Dafür gibt es ja in der SZ eine Extra-Rubrik: "Das Streiflicht". So eine Art anonyme "Post von Wagner" nur ohne Zeigefinger und Alkoholfahne. Mal sehen: Einmal geht es darum, dass der Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe nicht schön ist und die sog. "Deutsche Bahn" doof. Haha. Aha. Gestern ging es um einen italienischen Rentner, der einige Zeit 1 Cent zu viel Rente bezogen hat. Crazy! Dann lieber die Seite 3 mit ihrem deep shit. Aber irgendwie bleibt nichts hängen, nichts wühlt auf, irgendwie wirkt jede Seite 3 genauso notdürftig gefüllt wie andere Zeitungssparten. Überhaupt, dieses tägliche: gar nicht mein Ding. Und Journalist zu sein, wo das Tägliche schon den Namen gibt, das muss doch fürchterlich sein. Denk ich mir bei dieser Lektüre zumindest.
Das Feuilleton mit seinen meist nur vier Seiten ist erschreckend kurzlebig. Und sehr verwirrend. So viele Kurzrubriken. Und diese Musikkolumnen sind jawohl ein Witz, liebe SZ, das kann man doch so nicht einfach auslagern, den Pop, den Jazz, die Klassik oder whatever. Ist euch das keine ganzen Artikel mehr wert? Dass es keine gescheiten Feuilletondebatten mehr gibt, dafür könnt ihr vielleicht gerade auch nichts, aber die Mühen, irgendwelche anzuzetteln, die merkt man euch schon an. Zum Beispielen diesen Artikel über Filmlizenzen im Internet. Und den, der das doof fand. Aber irgendwie interessiert das doch keinen so richtig, oder? Wenngleich das Thema superwichtig ist (ja, Antonia Baum, es ist wirklich mehr als wichtig), irgendwie verpufft das dort. Irgendwie, also erklären kann ich das jetzt auch nicht. Der Rest ist vielleicht solide, aber auch da, irgendwie, liebe SZ, ich bin da jetzt keine Hilfe, und vielleicht ist das auch mein Problem allein, aber jeden Tag so etwas interessantes zu produzieren, manchmal muss ja auch nicht, aber irgendwie fehlt oft so ein Kniff, Twist, so ein Stilding wo ich denke: Okay, witzig geschrieben. Oder: Hey, kannte ich jetzt so auch noch nicht. Qualität, ja, was soll das denn sein? Ich werde zunehmend ratloser mit diesem Erzeugnis. Lieber nur noch Rätsel machen.
Das Traurigste ist doch, dass der Papiermüll wächst und wächst über diesen Ausschuss, der hier jeden Tag vor die Hunde oder die Säue geht. So ein Qualitätsblatt muss ja auch irgendwann auf den Papiermüll. Und so unoriginell das alles scheint, am Ende heißt es doch auch für die zweidreißigteure, beilagenträchtige, buntbebilderte und qualitätsversierte SZ: Asche zu Asche.

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Da muss doch was dran sein! Folge 1: Breaking Bad

Jesse Pinkman sitzt tief in der Scheiße. Nein wirklich, nicht metaphorisch. Also auch, ja. Aber darum geht es nicht. Es ist Breaking Bad. Metaphern sind nicht nur Metaphern. Sie sind auch immer konkret. No Shit (oder eben doch). Aber langsam.

[Spoiler bis S04E13]

Listen sind vielleicht einigermaßen Unsinn, Nutzerbewertungen ebenso. Aber wenn eine Serie auf imdb.com mit bis dato 347.224 Stimmen und 9,5 von 10 möglichen Punkten sich souverän den ersten Platz unter den TV-Serien überhaupt sichert (gleichauf mit der gleichbewerteten Dokumentationsreihe "Planet Erde"), noch vor Meisterwerken und Hochkarätern wie "The Wire", "Game of Thrones", "The Sopranos", "The Simpsons" oder "Twin Peaks", dann muss da doch etwas dran sein. Oder jemand eben eine sehr treue, sehr begeisterungsfähige Fanbasis haben. Was sich ja grundsätzlich nicht ausschließt.

Die Reden von den "besten Serien aller Zeiten" begleiten das Fernsehen seit geschätzt "Dallas". Nur hat sie sich in den letzten 15 Jahren mehrmals selbst überschlagen und im Kreis gedreht. Wenngleich gerade eine Art Innovationsflaute durch die Kanäle zu wehen scheint, oder Geniestücke wie "Person of Interest" eher unter Trivialitätsverdacht ferner laufen, scheinen sich alle bei "Breaking Bad" einig zu sein, dass die Platzierung auf der Spitzenposition aller TV-Serien aller Zeiten mindestens gerechtfertigt, wenn nicht sogar rechtmäßig verdient sei.

Ich habe erstmals von "Breaking Bad" gehört, als ich auf Amazon Serien-DVDs durchwühlte. Nicht etwa bei, sagen wir, "Dexter" oder "Mad Men", auch nicht bei "Malcom Mittendrin" oder ähnlichem, sondern bei "How I Met Your Mother" wurde mir diese Serie damals empfohlen. "Aha", dachte ich. Auf dem Cover war ein Mann mit Unterhose und Pistole, mitten in der Wüste. Es war der Chemielehrer Walter White, so las ich, der Krebs bekommt und aus versicherungstechnischen Gründen ins Drogengeschäft einstiegt. Ich dachte erstmal an "Weeds" und dann wieder an die Unterhose und den doch sehr slapstickhaften Ausdruck von Bryan Cranston auf diesem Bild, das die erste Staffel als Cover zierte. Schwarzer Humor, soso. Mit eben Slapstick. Maybe later.

Das ging dann immer so weiter, Amazon schmiss mir das Zeug hinterher, jetzt auch noch bei "Dexter" oder "Mad Men", nichtmehr bei abflauenden Sitcoms, in denen Cranston ja nunmal zunächst hauptbeschäftigt war. Die Botschaft an mich war klar: "Jetzt wird es ernst." Nicht nur in der Serie, auch mit dem Nachdruck, der hinter diesen Empfehlungen steckte. Na gut.

Die ersten drei Folgen waren fantastisch. Wenngleich doch ein stark konstruierter Fall ging es gleich zur Sache, und im Handumdrehen mussten Walter und sein Partner in Crime Jesse Pinkman eine Leiche beseitigen und eine Geisel im Keller irgendwie klarkriegen. "Hui", dachte ich, "jetzt wird es wirklich ernst!" Und so ging es auch weiter, immer tiefer in die Hölle, in die Jesse und Walter so schnell sackten, wie die Säure durch Jesses Haus, die er benutzen wollte, um eine Leiche in der Badewanne aufzulösen. Ekel, Suspense, Gewalt und wahnsinnig tolle Schauspieler, eine clevere Prämisse und ein Look wie in trockengelegten Rockvideos - die Serie hatte mich. Und als in der letzten Folge auch noch Heisenberg, Walter Whites Alter Ego im Drogengeschäft, einen grandiosen Auftritt hatte, an dessen Ende ein ganzes Haus in die Luft flog mitsamt seines wahnsinnigen Drogenbosses Tuco war dies ein fantastisches Finale. So einen Anstieg an Spannung und an Verstrickung innerhalb von nur sieben Folgen hatte ich kaum gesehen.

Und leider war es das auch erstmal.

Ab dann nämlich schien die Serie ihren Drive zu verlieren und ich musste meine Umwelt damit nerven, wie penetrant konstruiert ich das Ganze fand. Turning Point war schon die Episode "Gray Matter" aus der ersten Staffel, die an sich toll war, aber die Figur Walter White für mich unplausibel machte. Denn nun stellte sich heraus, dass er eigentlich ein hochambitionierter Chemiker war, dessen ehemalige Geliebte Gretchen mit seinem ehemaligen Studienkollegen Elliott Schwartz auf Grundlage seiner Arbeiten an der Uni ein erfolgreiches Pharmaunternehmen mit ordentlich Profit aufgebaut haben. Walter fühlt sich um seinen Verdienst betrogen. Okay. Und als Gretchen und Elliott anbieten, für seine Krebstherapie zu zahlen lehnt er ab.
Dieser Moment machte die Figur White nicht mehr tragbar, denn wie stolz kann man eigentlich sein? und wenn er das Gefühl hatte, die Schwartz' schuldeten ihm etwas, warum nimmt er es dann nicht an, wenn sie es ihm geben wollen? Es ist nicht so, als wäre das unplausibel erzählt, gar nicht. Aber es entfernt jeden Funken Mitleid, den man zuvor mit White haben konnte, und auf den die Serie doch sehr setzt, um das ganze Dilemma des armen, krebskranken, ausgebeuteten und underachieving Walter White darzustellen. Hätte White das Geld angenommen, die Serie hätte nichts mehr so recht zu erzählen gehabt, es sei denn, sie hätte einen Weg gefunden, Walter den einmal in der ersten Episode eingeschlagenen Weg nie mehr verlassen zu können. Und nun, da er sich einmal gegen die ihm doch auch nach seinem empfinden zustehenden Zuwendungen und für das Drogengeschäft entschieden hat, so dachte ich mir zumindest, dann bist du halt selbst schuld an allem, was jetzt kommt. So prinzipiell. Der selbstgewählte Abstieg in die Hölle konnte beginnen. Tat er aber nicht.

Die zweite Staffel Breaking Bad ist mit der am schlechtesten konstruierten Spannungsbogen, den ich bisher gesehen habe. Für eine Serie, die offensichtlich einen hohen Anspruch an ihre eigenen Einfälle hatte, war dies kaum zu verzeihen. Und diese schlechte Konstruiertheit nervte. Zwar fing alles spannend an mit Entführungen, Shootouts und einer knapp verhinderten Enthüllung Whites als Heisenberg durch seinen Schwager Hank, der, natürlich, DEA-Agent und Walters und Jesses Crystal Meth Operation auf den Spuren ist. Ab dann wird es alles eine Seifenoper mit grandiosen Schauspielern. Familienprobleme, Arbeitsplatzprobleme, Drogenprobleme, Gesundheitsprobleme, Beziehungsprobleme. Nicht unrealistisch, aber immer retardierend. Tragisch, aber doch irgendwie nicht das, was die Serie bisher erzählt hatte. Und darüber hinaus steigerte ihre konkrete Metaphorik ins prätentiös-billige. Wenn man hier in der Scheiße landete, dann auch mal eben ganz wörtlich. Okay, I get it! Und derart offensichtliche und belanglose, aber um keinen Preis belanglos erscheinen wollende Bottle-Episoden wie "4 Days out" in der zweiten oder "Fly" in der dritten Staffel waren nicht nur ärgerlich, sondern verschwendung wertvoller Erzählzeit die nicht nur keinen Funken zur laufenden Dramaturgie beitrugen, sondern diese sogar aus heiterem Himmel unnötig zum erliegen brachten. Das Finale der zweiten Staffel, auf das in Rückblenden immer weiter hingearbeitet wurde, sollte ein Knall sein, verpuffte aber kläglich, da es als Metapher zu plump, als Kausalität zu unplausibel und gewollt, als tatsächliches Erzählereignis zu egal war. Es brachte schlicht nichts in der Serie voran und zeigte auf gänzlich augenfällige Art, wie wenig die Serie in der Lage war, das in der ersten Staffel noch so grandios hochgehaltene Tempo zu halten. Und so musste ich bis Staffel 4 warten, dass endlich die Ereignisse eintraten, mit denen ich schon in Staffel 2 gerechnet hätte. Warum?

Weil die Serie in meinen Augen sich niemals entscheiden konnte, was sie sein wollte: Tragödie, Satire, Soap, philosophischer Essay, Filmtripp, doch eine Komödie, Mafia, Thriller, Sozialstudie? Was andere Serien mit Leichtigkeit in ihr Konzept integrieren konnten (und letztlich muss sich "Breaking Bad" immer an "The Wire", "The Sopranos" und "Six Feet Under" messen lassen, da es sich permanent aus deren Ingredienzien zusammenmischt), bekommt "Breaking Bad" erst gegen Ende hin, wenn es sich ganz zum Thriller mit comichaften Momenten hocharbeitet. Dazwischen laviert sie sich von Szene zu Szene, Episode zu Episode, ohne einen kohärenten Ton anzuschlagen. Das mag jetzt arg modernistisch klingen, letztlich hat aber auch diese Serie nichts anderes verlangt, als eine Art Downward Spiral mit stetigem Abstieg zu zeichnen. Klassisch tragischer geht es kaum. Insofern hätte sich diese Serie mehr Gedanken über ihr Erzählkonzept machen sollen als über etwaige Farbspiele.
Das wurde für mich auch daran deutlich, dass die Serie offensichtlich nicht wusste, auf welche Figuren sie sich konzentrieren und in was für einem Weltentwurf sie leben möchte. Serien wie "The Wire" oder "Game of Thrones" haben ja mit Bravour vorgemacht, wie man eine ganze Welt bis in das kleinste und niemals unwichtige Zahnrädchen hinein zeigt und nachvollziehbar macht. Bei "Game of Thrones" macht dies allein der Vorspann deutlich, worauf sich die Serie konzentriert: Ausuferndes World Building. "Six Feet Under" war ein Genistreich in Figurendynamik. "Breaking Bad" kann sich nie zu dem einen oder anderen entscheiden. Es muss sich ja nicht ausschließen, eine Welt zu entwerfen und sich dabei auch noch auf einen figürlichen Mikrokosmos zu konzentrieren. Nur schafft "Breaking Bad" dort bis zur vierten Staffel keine Balance herzustellen. Was als Figurendrama beginnt schert über die ersten drei Staffeln immer recht plötzlich zu Nebenschauplätzen aus (das Kartell in Mexiko, Saul Goodmans Welt, Walters Schule oder zuvor eingeführte Nebenfiguren und ihre Geschichte), lässt dann aber viele angefangene Stränge unmotiviert liegen. Am tragischsten wohl im Falle von Mike Ehrmantraut, der zuvor als PI im Dienste des Strafverteidigers Saul Goodman eingeführt wird, dann aber plötzlich Hitman, Mentor, Großvater und Mittelsmann von fast allem, was um Walter un Jesse herum passiert ist und zwischendurch Gegenspieler-Operationen aus Asien im Alleingang ausschaltet oder sich im Gefriertransport nach Mexiko fahren lässt, um dort auf einen Hinterhalt des Kartells zu warten. Und dann wird er wörtlich einfach blutend liegengelassen für das Finale von Staffel 4. Ein ganzer Charakteraufbau für nichts, durch Drehbuchwillkür aus dem Spiel genommen. Auch so verpufft Dynamik, verschleißen Figuren und verliert die Welt von "Breaking Bad" die Dimension, die sie haben könnte. Vieles bleibt Behauptung, auch Walters Überlegenheit, wenn er mehrere Staffeln lang wie ein Tier im Edelkäfig eingesperrt versucht, aus dem Hamsterrad auszubrechen. Er ist und bleibt angestellter der versucht, die Konsequenzen seines Handelns einzudämmen, anstatt, wie noch in der ersten Staffeln, angefixt vom Erfolg Schritte unternimmt, um sich in immer höhere Stufen vorzuarbeiten. Die fünfte Staffel könnte das endlich liefern, es sieht vielversprechend aus, aber es hat zu lange gedauert. "I am the Danger, I am the one who knocks", sagt Walter in einer auf Poster und Tassen oft reproduzierten Szene. "Are you, though?", wäre die angebrachte Gegenfrage. Denn bis dahin schien mir das mehr übersteuertes Wunschdenken als tatsächlich der Fall zu sein. Und so behauptet die Serie mehr, als sie zu erzählen wagt oder im Stande ist.

Ich kenne das Ende noch nicht. Nicht richtig. Ich bin gerade in der vierten Staffel, die beste bisher, und hoffe, dass diese Serie irgendwann den Wow-Effekt einlöst, den mir alle Freunde, Facebook-Freunde, Amazonrezensenten und IMDB-Kritiker dieser Welt versprochen haben. Was bleibt, ist bisher eine gute Serie mit spannenden Momenten, teils großartigen, vielen prätentiösen Szenen und einem zu großen Willen zu und zu wenig Vermögen zu cleverer Konstruktion, die sicher alles ist (und sein will), aber nicht eins: Die beste Serie aller Zeiten. (Denn die ist wohl wirklich "The Wire". No Shit.)

Zeitungsfriedhof: Eröffnung

Gerade hat mich die Süddeutsche Zeitung versucht zu erreichen. Zumindest sagt mir Google das, nachdem ich diese merkwürdig lange, mir unbekannte Nummer auf dem Telefondisplay dort zu orten versucht habe. Was die SZ von mir wollte weiß ich nicht, kann es mir aber denken: Zu meinem Umzug kürzlich schenkte mir die Deutsche Post netterweise ein paar Coupons für Probeabonnements. "Schön", dachte ich, "Zeitungen".

Ich mag Zeitungen. Und wenn es allenthalben heißt, Print sei tot, dann sind mir Zeitungszombies noch lieber. Freihaus und ohne Kündigungsfalle oder dergleichen. Man musste halt nur eine Telefonnummer angeben um gefragt zu werden, wie man denn die Zombies so finde, die einem da nun für zehn oder vierzehn Tage aus großer Güte und ein wenig Eigennutz zugestellt werde.
Ich kann dazu leider nichts sagen, denn hier stapelt sich einfach nur alles. Besonders seit der Buchmesse in Frankfurt, in der ich den Eintrittspreis in Papierwert heraustragen konnte, komme ich doch mit dem Lesen gar nicht mehr hinterher. Und was denken sich diese Zeitungsmacher eigentlich, wer Zeit dafür haben sollte?
Unverschämterweise heißt sowas dann ja auch noch irgendwas mit "Tag", "Täglich" oder "Times" und es macht mir ganz schön Stress, dass morgen wieder der nächste Zombie in meinen Briefkasten wandert, wo ich den vom Vorvortag nichtmal ordentlich beerdigt habe. Jetzt stapeln sich hier die Zeitungsleichen und ich krieg schon Druck, das langsam aus dem Haushalt zu entsorgen, denn das lese doch eh keiner.

"Doch", denke ich da trotzig, "ich lese meine Textleichen, soviel bin ich ihnen und den ganzen Textleichenfabrikanten schuldig, die sich doch tatsächlich erhoffen, jeder würde täglich so viel lesen. Und mich interessiert das doch auch wirklich, was vorgestern über vorvorgestern geschrieben wurde."

Und so wird diese Woche nicht nur gelesen, sondern auch noch darüber geschrieben, was so liegengeblieben ist und vielleicht mag es sein, dass Print tot ist, dass die Zeitungen mit ihren Redaktionen und ihren Anzeigen sterben, und wenn es eben Leichenfledderei sein sollte, was sich daraus ergibt, immerhin nehme ich mir mal ein bisschen Zeit zu lesen. Denn woher zum Teufel soll man die sonst auch haben?