Donnerstag, 27. März 2014

Ansage #6: Zocken

Ich habe es bis zum Kabe-Artikel heute gar nicht gewusst, aber es stimmt: Die Krim-Krise bzw. deren Analyse bringt den guten alten Spielvergleich wieder hervor: Putin spielt Schach! Oder auch nicht, je nachdem.
In einem der wirklich besten Gespräche aller Zeiten (!), der Folge Nummer 29 von Frank Riegers und Fefes Podcast "Alternativlos", die dann auch noch grandioserweise Frank Schirrmacher als Special Guest Star hat, weist Rieger darauf hin, dass eine Erklärung der Strategien im Kalten Krieg auch sein könnte, dass auf russisch-sowjetischer Seite klassischerweise Schach gespielt wird, auf amerikanischer allerdings Poker und dass sich dies auch in den politisch-militärischen und daran angelehnten Vorgehensweisen spiegele. Da ist mir beim Joggen fast der Kopfhörer aus den Ohren geflogen und Schirrmacher ist auch gleich ganz baff von diesem Explanans, wobei ich eher dachte: Naja, das ist jetzt ja ein merkwürdig kultursubstantieller Vergleich, dessen Allegorisierung aber so tolle Schönheit besitzt, dass man ihn gerne annimmt.
Und jetzt das: Die Schachspieler sind zurück! Allerdings spielt der Westen laut Kaubes Zusammenfassung jetzt kein Poker mehr, sondern Monopoly. Gut, mag man da sagen, bei beidem geht es in erster Linie um Geld. Dass Monopoly jedoch auf dem Würfelprinzip beruht und im Grunde keinerlei Strategie benötigt, Poker aber vor allem, wie sagt man, nicht das Spiel, sondern den Gegner spielt, das marginalisiert den zockenden Westen aber ganz schön, während Kaube zu Recht darauf verweist, wie sehr der Schach-Vergleich den Politiker doch adelt, gilt das doch ebenso zu Recht als ein anspruchsvolles und radikales Spiel.
Überhaupt, die Spieltheorie wird jetzt wieder gezückt, wie im Kalten Krieg. Meisterstück dieser Wiederentdeckung ist der Artikel Tyler Cowens in der NYT. Im Grunde geht es darum zu berechnen, wie die nächsten Moves des Gegenüber aussehen und nach welchen Prämissen er dabei handeln wird. Cowen ist Ökonom und lustigerweise funktionieren die Investitionsmärkte nach diesem Prinzip, was den Monopoly-Vergleich irgendwie plausibler macht, wobei Poker eben plausibler ist, denn bei Monopoly weiß man einfach nicht, welches Risiko man eingeht und welches nicht, wenn die Würfel einen eh auf das Feld mit den drei Hotels schickt oder auf das Frei Parken. Ganz unsichere Kiste.
Sowohl Rieger als auch Kaube und Cowen unterschlagen aber, dass gerade der Think Tank der amerikanischen Nachkriegspsychologie, die Kybernetiker, gar nicht so sehr von Poker oder Konopoly oder Jenga oder Mensch Ärger Dich Nicht oder Federball fasziniert waren, sondern eben auch von Schach. Genau die Leute, die Truppenpsychologie und FLAK-Systeme gebaut haben, träumten von einem echten künstlichen Schachcomputer, sozusagen dem Opus Magnum künstlicher Intelligenz, der eben seinem Gegenüber immer einen bis fünf Schritte voraus sein sollte, der seinen Gegenüber studiert und variantenreich spielen kann. Genau die Wissenschaft also, die uns die Zockerei der Wall Street, die Massenpsychologie und das Internet in der Wurzel gebracht und umgekrempelt hat, wollte nichts von Poker wissen und auch nichts von Monopoly, sondern von Schach spielenden Maschinensystemen.
Kaube bringt den etwas ulkigen Vergleich mit der Schachspieler-Weltrangliste, dass sich darauf doch nun wirklich kaum noch Russen befänden, sondern Norweger, Ukrainer et al. Das ist natürlich am Punkt vorbei argumentiert, denn es geht ja nicht darum, wer wo die besten hat, sondern ob das Schachspiel nicht eine Mentalitätsfigur ist, die sich kulturell verankert. Nur, weil wir z.B. Olympiasieger im Curling sind (weß jetzt nicht ob das stimmt), sind wir ja auch keine Curlingspieler, so rein mental. Aber auch diese Kulturmentalitätsargumente sind irgendwie so unterkomplex, dass man mit ihnen am besten gar nicht argumentiert. So müsste man, um genau zu sein, auch eher Fragen, was Putin, Obama, Steinmeier oder Schirrmacher als Spieler gerne spielen. Und das ist doch eine tolle Story!
Man stelle sich einfach mal diesen Vergleich in ein paar Jahrzehnten vor: Wer spielte nicht alles Flappy Birds, Threes, Quizduell? Wer ist ein Volk von Siedler von Catan Spielern? Wessen Politik wird mal mit World of Warcraft beschrieben? Denn die enorme Zockesplosion auf dem Markt, der ja wirklich weltweit ist (so wie es sicher kein derart populäres Nationalspiel mehr gibt, dass man eine Kulturmentalität darunter subsumieren kann, die sich auf den Zockerstand von vor 200 Jahren beruft), führt doch über eine rasende Diversifizierung von Zockmentalitäten, die sich bestimmt nicht mehr auf ganze Gruppen, sicher aber auf Individuen übertragen lässt. Was zocken die Abgeordneten im Bundestag vor der und während einer Abstimmung? Was die Congressmen und -women, die Duma, die UN? Und was bedeutet es, wenn wir alle mit Super Mario Bros oder Counter Strike aufgewachsen sind? Was werden wir alle mal für Politiker, Strategen, Broker oder Anwälte? Was bedeutet es, dass mit Hanabi und Die Legenden von Andor gleich zwei kooperative Spiele zum Spiel des Jahres 2013 gewählt wurden? Minesweeper oder doch Tetris (letzteres angeblich ja auch extrem russischen Ursprungs und lag auch noch fast jedem Ur-Game Boy bei!)? Alles politisch hoch brisante Fragen, die wir auf jeden Fall klären müssen, wenn es wieder darum geht zu erklären, ob wie und warum wer was zu zocken hat - politisch oder militärisch.
So sieht analytisches Mikado aus.

Montag, 24. März 2014

Fluch oder Segen I: Dietmar Dath

Dietmar Dath - Fluch oder Segen? Wir finden: Eine sehr berechtigte Frage. Denn grundsätzlich müssen sich rechtmäßig so genannte "Vielschreiber" dem Vorwurf aussetzen, gleichzeitig "Wenigdenker" zu sein, so gesehen zum Beispiel bei Peter Sloterdijk oder im vertraulichen Gespräch mit Universitätsmitarbeitern. Wer so viel schreibt wie Dath begibt sich erstmal auf dünnes Eis: Nicht nur produziert er übermäßig Aussagen, die einem übel aufstoßen oder einen noch übler aufwühlen, schlimmsten falls mehr als gleichgültig sind, nein, auch muss der Verdacht ausgeräumt werden, dass jemand, der so viel schreibt letztlich nicht viel zu sagen hat, sonst müsste er nicht weiter und weiter schreiben, reden, schreiben und schreiben.
Bei Dietmar Dath kommt noch der etwas lustige, manchem gar furchtbar wähnende Zustand hinzu, dass Dath nicht nur ein Gedankenwerk produziert (zumindest scheint es erstmal so), sondern auch noch ein Genre Bender ist. Dath schreibt nicht nur Rosa-Luxemburg-Biographien, er schreibt auch Bildungsbürgersciencefiction, Manifeste und Konzertkritiken, DVD-Empfehlungen und allgemeine Reflexionen zu allgemeinen Themen, die Sie, ja genau Sie, so sicher nicht gesehen hätten. Kann also jemand all das ernsthaft meinen, betreiben, kann also überhaupt irgendjemand nachvollziehen, was Dietmar Dath dort macht? Und noch viel, viel wichtiger: Ist das nun Segen oder Fluch?
Wenn Soe sich also für Theorien interessieren, wenn sie gerne TV-Serien gucken und Popcorn mögen, wenn Sie bedauern, dass linke Politik so hinter ihren Möglichkiten steckt, wenn Sie sich als Politologe gerne mit Biologinnen unterhalten, Metallica mögen und sich fragen, was die Quantenphysik für Ihre Jugend leisten kann und konnte und wenn Sie alles, was "Pop" heißen kann für diskurswürdig halten und sich zwischen Spx und FAZ-Feuilleton genauso zuhause fühlen wie im Programm von Heyne und Suhrkamp, dann ist Dath ihr Mann. Ist er nicht? Pech für Sie!
Gehen wir einmal in medias res und lesen folgenden willkürlich ausgewählten Satz: "Sobald es um soziale Spielchen geht, kann man Lügen gar nicht lange aufrechterhalten, ohne sie zu glauben." Oder diesen: "Der Nährboden dieser Art Härte ist natürlich ein sozialer: Wer es weiß, kann gar nicht überhören, dass die Musiker der besten Metal-Bands aus einer Position heraus ihre Platten aufnehmen und Konzerte geben, welche davon ausgeht, dass es für diese Menschen zum Musikmachen nur die Alternativen einer blöden und langweiligen Erwerbsarbeit beziehungsweise der Dienstverpflichtung in der Armee gegeben hätte." Oder diesen aus "Die Abschaffung der Arten": "'Wieso', fragte die Libelle Philomena ihre liebste Freundin, die Fledermaus Izquierda, 'ist den Menschen eigentlich passiert, was ihnen passiert ist?'" Oder diesen aus dem mit Barbara Kirchner verfassten "Implex": "Je größer unter diesen Bedingungen die Reichweite derjenigen Wirtschaftsweise wird, die als alternativlos gilt, weil sie das Gros der warenförmigen Reichtümer hervorbringt, von denen tatsächlich alle leben, je mehr also die Welt der kapitalistischen Produktion und Distribution territorial, strukturell, dynamisch und historisch zusammenfällt mit der ersten wirklichen Weltgesellschaft, desto mehr Leute werden von diesem ebenso übermächtigen wie äußerst störanfälligen Umschlag ungeheurer Quantitäten zu neuen Gesellschaftsqualia in eine große Vergleichsmaschine gesaugt, die alle Unterschiede macht, von denen noch irgendwer weiß, und keinen mehr, den irgendwer begreift." Sehen Sie den Zusammenhang? Wenn nicht, dann müssen Sie diese sicher mal als Podiumsgespräch begonnene reine Zitatesammlung aus dem Bayrischen Rundfunk hören. Das sagt schon alles, nämlich, dass Dath einfach alles sagt, weil er es kann, weil er es einfach macht, weil es in sich stimmiger ist, als man denkt, wenn man denkt wie Dath, dass man eben auch Science-Fiction schreibt, wenn man sich durchaus für Science und Fiction interessiert, dass auch der linke Utopianismus danach die Fühler streckt, genau wie der absolute Kulturindustriefabrikant, genau wie der Smartphonehersteller und der Metal-Guitarrist, sie bauen, baeun, bauen künstliche, kunstvolle und stabile Gebäude des Fühlens, Handelns, Reflektierens, und wem das zu viel Spontiseminar wird, der kann sich über das Technobabbel genauso freuen wie über den süffisant eingewobenen Pop-Referenzialismus.
Die Frage ist dann eben, ob Dath sich nicht zu monadig verhält, obwohl er sich als Debattenkatalysator mit Weitblick generiert. Ob seine Multiplikationstexte, die kaum differenzieren, subtrahieren und dividieren, nicht letztlich ausgehölt werden und in sich zusammenfallen. Dass es also letztlich bei Dath zu viel und zu viel Dath gibt. Und ob es wünschenswert ist, dass die Debattenimpulse doch selten mainstreamfähig, eher randständig, aber doch immer wieder gewollt und forciert populär werden (aber für wen nur?). Und genau das ist die Frage nach Fluch oder Segen, nicht nur Dieatmar Daths für uns, sondern auch für sich, an sich.
Aber wir mögen Science Fiction. Wir mögen Gesellschaftstheorie. Wir mögen die vierte Staffel "Castle". Wir mögen Metallica, den Pop-Diskurs und wir mögen die Idee des Quantencomputing. Und weil Dath sich selten als Schnösel geben möchte, weil er sein Interesse an all diesem Quatsch und Wahnsinn und Spaß als genuin vorzubringen weiß, weil er eben schreibt, weil er anscheinend schreiben muss, weil die Science nie reicht und die Fiction auch nicht, weil Rosa Luxemburg und Hollywood, Lenin und Superman eben doch in einen Text, einen Kopf, einen Diskurs passen und irgendwie auch gehören, weil es eben doch toll ist, so unterschiedliche Sätze für unterschiedliche Köpfe mit unterschiedlichen Verdauungskompetenzen zu produzieren, die im Zweifel schillern und irrlichtern, die im besten Fall aufkratzen und kritisch erheitern, die immer irgendwie herausfordern und doch wärmen wollen und weil dies kein anderer gerade so macht, kann und will und muss wie Dietmar Dath, sagen wir hier beim Ansagenfeuilleton, ganz eindeutig: Segen!

Mittwoch, 12. März 2014

Die wichtigsten Alben 2013 #1: Sigur Rós - Kveikur

Das Musikjahr 2013 war weitestgehend unfair, zumindest, wenn man sich die ganzen Jahresbestenlisten anschaut, sozusagen die Konkurrenz zu uns hier beim Ansagenfeuilleton, die natürlich viel schneller, angesagter und quitschfiedeler war, aber wir sagen uns auch immer sowas wie "everything in its own time" und solche Kalendersprüche, was unsere Mütter, unsere Väter mal "Gut Ding will Weile haben" oder ähnlich nannten, aber das führt uns jetzt wieder weg von unserem eigentlichen Thema, nämlich dem unfairen Musikjahresrückblickdesaster von 2013: Alle, also so gut wie alle, haben "Kveikur" von Sigur Rós übersehen. Sicher, wir haben hier auch vieles übersehen oder vermeintlich nicht gewürdigt: Boards of Canada, Rhye, My Bloody Valentine, The Knife, Bill Calahan, David Bowie oder Janelle Monae haben es nicht in unsere Liste geschafft, aus jeweils eigenen Gründen versteht sich, oft nicht aus Prinzip (Ausnahme: My Bloody Valentine, diese Resterampe könnt ihr behalten). Aber dass sowohl beim NME, bei der Intro, dem amerikanischen Rolling Stone oder bei Pitchfork, um nur einige zu nennen, wurde "Kveikur" überhaupt in den Jahresrückblicken erwähnt. Selbst so zweifelhafte Portlae wie Laut.de platzierten lieber Unfug wie Robbie Williams oder Alligatoah in ihre Top 50 als "Kveikur" auch nur mit der Kneifzange anzufassen - so jedenfalls muss das uns vorkommen, hier beim Ansagenfeuilleton, die dieses Album zum #1 wichtigsten Album 2013 erklären. Und jetzt müssen wir uns auch aus Gründen der Hipness und des guten Geschmacks dafür verteidigen, argumentativ weit ausholen und tief in die Trickkiste der Überzeugunsarbeit greifen um zu erklären, warum das auch alles so gehört.
Ich zumindest habe meine eigene These dazu, warum "Kveikur" so glorreich verschwiegen wurde in den populären Jahresrückblicken. Denn diese sind in erster Linie doch irgendwie immer dem Neuheitswahn verschrieben. Der Fluch des Internets für den Musikjournalismus ist doch einheitlich die Angst, das Angesagte zu verpassen und gerade das Jahr im Rückblick nicht richtig gedeutet zu haben, weshalb sowohl sehr gute Comeback-Alben file under Nick Cave oder eben absolut konsensfähige Reifungsalben (wenn nicht gar absolut hinreißende Debüts, aber die Zeit ist gerade nicht) an die Spitzenpositionen gewählt werden. "Kveikur" ist nichts davon. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Dazu kommt, dass Sigur Rós schon notorisch zu den Bands gehören, die in einer eigenen Liga spielen. Und diese Liga kann auch wirklich "Sigur Rós Liga" heißen, was sie sowohl vom Rest abhebt, als auch vergleichsweise unvergleichbar mit allem anderen macht. Aber letztlich stimmt das nicht, denn Sigur Rós sind keine Band, die nicht auf diesen Planeten gehört, sie sind auch keine Ausnahmeerscheinung in dem Sinne, dass man sie nicht mehr berücksichtigen muss, weil man sie nicht berücksichtigen kann. Sie sind nicht die Rolling Stones, deren Mojo schon ewig verschossen ist, denen man aber insgeheim trotzdem ein ihren Status wieder rechtmäßig zementierendes Werk zutraut. Sie sind auch nicht Radiohead, obwohl Radiohead fast Sigur Rós sind, allerdings wird bei jeder VÖ von Radiohead die Frage einer der ersten sein wird, wie plattendesjahresmäßig sie wohl ist - und das, obwohl Radiohead schon längst auch ihre eigene Liga haben, bei der es aber immer auch um den wohlverdienten Thron geht. Sigur Rós hingegen, die mit ähnlichen Mitteln agieren, wird immer die schlechte Sorte Esoterik unterstellt, die hart am Kitsch entlangschrammt und bei der man sich schnell die Hände schmutzig macht, lässt man sich zu sehr darauf ein. Was für ein fataler Fehler!
Denn selbst, wenn man auf das Island-Feen-Elfe-Trolle-Geysir-Vulkane-Folklore-Klischee nichts gibt oder sogar darauf hereinfällt, so sollte doch zumindest anerkannt werden, wie eigenständig, groß, ausdefiniert, variationsreich und trotzdem monadig der fast körperlose, aber immer bodenhaftende Sound von Sigur Rós ist, von der "Von"-Platte über "Takk" und "Hvarf/Heim" bis hin zu eben "Kveikur". Sigur Rós sind eine eigenen Referenzgröße, die zudem noch so Kiritikerlieblingsgenres wie Postrock gefrühstückt haben, um damit ganze Klanglandschaften zu bepflanzen und Songarchitekturen dem Babelturm gleich zu errichten. Das mag eben manchmal am Kitsch schrammen, ist aber trotzdem so durchdacht und durchfühlt wie sonstwas. Klar, wer auf Reduktion steht und Understatement, der findet das nur in kleinen Perlen verteilt. Aber Sigur Rós haben nie einen Hehl daraus gemacht, wer sie sind, woher sie kommen und was sie und wir von ihrer Musik erwarten und erwarten können. Insofern sind sie ehrlich wie der letzte vergessen Folkbarde aus den Sixties und im Grunde auch unprätentöser als alle Anti-Musiker überhaupt. Du kannst mit gezielter Überwältigung nichts anfangen? Du solltest sie aber verdammt nochmal respektieren, wenn sie auf dich zurollt wie ein perfektes Uhrwerk. Jeder einzelne Sigur Rós Song ist genau das.
Nun stellte sich auf "Valtarí" soetwas wie Langeweile ein, weil die Band zu sehr ins Sphärische und zu wenig ins Konkrete ging, obwohl der unaussprechlich betitelte Vorgänger zumindest in der ersten Hälfte genau diesen Bodenhaftungstwist vollzogen hat. Man kann nun der Band nicht vorwerfen, immer wieder zu überraschen, wenngleich mit den bekannten musikalischen Mitteln. Und "Kveikur" ist ein ähnlicher Twist: Ins düstere, Paranoide, Bedrohliche und Brummende. Und dass diese vermeintlich so vorhersehbare Band auch jetzt, lange nach ihrer Etablierung und lange nach ihren perfekten Alben wie "Takk" noch zu einer anderen Soundvariante in ihrem doch eigenen Kosmos in der Lage ist, der immer noch überwältigt, der immer noch berührt und durchschüttelt und auf den vollen Effekt mit vollem Erfolg aus ist, das ist etwas, was man keiner Band hoch genug anrechnen kann - und erst recht nicht Sigur Rós.
Da wäre der Opener "Brennisteinn", der schon so monströs wie eine Dampfwalze anrollt, ein Leviathan von einem Song, der auf seinem tiefergelegten Synthiebass unerbittlich in den Pophimmel reitet. Da wäre das auf seinen Geigen im 4/4-Takt galoppierende "Ísjaki", das glänzende "Stormur", das die Nacht zum Tag verwandelt, das herzergreifende "Rafstraumur" oder der Geistertanz in "Yfirborð", die alle im Klangkosmos dieser Band den Olymp erklimmen und absolute Höchstleistungen an kompositorischem Willen sind - auch jenseits der Sigur Rós Liga, nach der ohnehin jede dritte Band ihre Fühler ausstreckt, früher oder später. Absolutes Highlight und Wendepunkt im Musikzeitalter schlechthin ist der Titelsong "Kveikur", der so einzigartig wie unerwartet, einfach überrollend und sprachlos machend ist: Es knarzt, quietscht und brummt an allen Ecken und Enden, das Schlagzeug grollt wie eine Lawine und die Guitarrensaiten zereisst es nahezu. Was für ein Monstrum von Song, der einmal mehr beweist, wie viel dieser Band zuzutrauen ist, selbst wenn sie sich auf noch unbetretene Wege traut, wieviel Perfektion in diesem Koloss von Album steckt, das einen mit einer unglaublichen Selbstverständlich- und Leichtigkeit in ein Wechselbad der Gefühle, Genres und Ideen schmeißt, ohne je vergessen zu machen, wer hier die musikalischen Fäden führt. Soetwas von einer mittlerweile dreiköpfigen Band überhaupt in der Intensität und Konsequenz geliefert zu kommen, von einer Band, der viele ent- und die einige nahezu totgesagt haben, von der alle dachten, sie werde sich nun in ihren selbsterrichteten und -gefäligen Klangkosmos zurückziehen, ist schier unglaublich und ein Glücksfall für das Musikjahr 2013 wie für Musik generell - und mit sicherheit mehr als ein Grund, die unfairen und im Grunde ignoranten Jahresranglisten zu 2013 noch einmal stark zu überdenken.

Dienstag, 11. März 2014

Ansage #5: Irgendwie rechts

Wir hier beim Ansagenfeuilleton waren oder sind alle eine, zumindest für Leute wie Frank, fürchterliche Menschensorte: Abonnenten. Ja, wir geben es zu. Wir abonnieren Zeitungen und Zeitschriften. Weil wir gerne Sicherheit haben wollen in dem, was wir lesen. Weil wir Konstanten und Rituale in unserem Leben brauchen. Wir hegen Vorfreude auf das Kommende, aber zu viel Ungewissheit verunsichert uns. Wir sind natürlich langweilige Leser, das ist unbestritten. Aber wir setzen auch ein Statement, das vielleicht nicht mehr so seventiesmäßig war, als man noch klassenkämpferisch die Frankfurter Rundschau oder altehrwürdig mit der FAZ in den Hörsaal galoppierte. Aber wir interessieren uns immerhin für Serielles, dazu gehört nunmal auch das Periodische der Periodika.

Und was waren wir alle begeistert oder zumindest angetan von dem Relaunch des Freitag. Eine Community, ein Dialog mit den Lesern, sogar über Inhalte und ideologische Ausrichtung. Ich erinnere mich noch sehr gut an diese Grundsatzdebatten der Jahre 2008/2009 im Forum der Freitag-Community – Konsens: irgendwie links. Was immer das auch heißen sollte, so richtig hat das niemand verstanden. Und ja, wir alle waren oder sind auch Abonnenten des Freitag, das war einfach zu spannend, zu schick und zu lustig, um nicht regelmäßig nachzusehen, was dort irgendwie links abging, obwohl sich dann schnell eine Ermüdung eingestellt hat bei einer Emphase, die man auch Neues Deutschland "light" nennen könnte (nicht umsonst gab es da einige Mannschaftswechsel). Und als Jakob Augstein dann auch noch diese "Augstein und Blome" Sendung machen und auf dem Spiegel seine "Im Zweifel links" Kolumne als Anti-Fleischhauer ausbreiten durfte, da war es doch nur noch ein Gähnen, das ich für den Freitag (der mir auch zu unverschämt teuer wurde, just sayin') übrig hatte.

Jetzt war ich aber wieder kurz davor, mir eine Ausgabe zu kaufen. Warum? Nicht, weil ich mal wieder Lust gehabt hätte oder weil ich jetzt mehr Geld habe für so einen Spaß, sondern wirklich und echt wegen eines Titelthemas. Das hieß "Die Rechtsdenker" und hatte ein omahaftes Ausstellungsmuster mit Bildern von all unseren Lieblingsleuten: Matussek! Broder! Sarrazin! Schwarzer! Kelle? Und: Sloterdijk?[!??!?!?!?!]. Wahnsinn! So viel Ansagenmaterial auf einem Haufen, denn alles, was diese Leute eint, ist doch das Ansagenhafte (und da steckt ja nicht umsonst "sagenhaft" drin), ob man jetzt gut finden, was sie sagen oder nicht, das ist ja jetzt Ideologie, aber die Form, die die ist doch klar ansagerisch. Und dann auch noch eine Ansage über diese Ansagenmenschen! Fantastisch! Abgesehen von dem doch irgendwie Rätsel, was diese Ansager jetzt alle gemeinsam haben. Zumindest doch wohl dies: Sie seien irgendwie rechts.

Was für ein grandioser Aufmacher für eine Wochenzeitung, die sich als "irgendwie links" verstehen soll, will oder kann. Da ist sie so richtig bei sich angekommen, bei ihrer Antipode noch dazu, wie dialektisch! Und, wenn wir richtig achtgegeben haben, dann ist das ja auch irgendwie links.

Was mich dann erwartet hat, ist ein eher merkwürdiger Artikel darüber, wie sehr uns vielleicht die FDP fehlt und wie das Wort "Revolution" etymologisch korrekt herzuleiten und zu gebrauchen sei. Das hat mich eher verwirrt als begeistert, zumal ich doch wissen wollte, warum Broder und Sloterdijk ein und dasselbe Titelbild zieren. Gut, der gemeinsame Nenner "Springer" ist ja von Broder über Matussek bis Schwarzer und Sarrazin leicht zu spannen. Auch Ulf "Vanity Fair" Poschardt wird da reingeblendet. Und dann noch so Sätze wie dieser: „Ganz bewusst setzen die neuen Rechtsdenker auf Themen wie Deutschlands Rolle in Europa und der Welt, Schwule und Lesben oder das militärische Engagement der Bundeswehr im Ausland." Als täten das im Grunde nicht irgendwie alle bundesdeutschen Parteien. Aus sowas wurde ich nicht wirklich schlauer. Ganz fantastisch jedenfalls die Passage über Poschardt, der "konservative[s] DJ-tum" betreibe und (deshalb?) "der Oswald Spengler der konservativen Revolution" sei, wobei sich die Freitag-Redakteure da ein lustiges Entweder/Oder ausgedacht haben: "Fürchtet er [Poschardt] tatsächlich den Untergang des Abendlandes oder ist das alles für ihn am Ende auch nur Pop?" Ganz tolle Frage, ganz schwer nur zu beantworten, stilistisch aber zumal eine Rakete , metaphorisch ist das DJ-tum der Ideologien ja auch gar nicht mehr höher zu treiben und zu denken, wenn man sich das mal so richtig ausmalt.

Ganz großartig auch die Bedienungsanleitung für diese "Rechtsdenker", die eben nicht so "sexy" rüberkämen, wie sich die "Linke" das so wünschen würde, aber dann doch dieser Satz, grandios: "Aber es wäre fatal, wenn die Linke sich von den Feuilleton-Cowboys zum hemdsärmeligen Polit-Western herausfordern ließe und ihre Gegner ebenfalls im High-Noon-Stil bekämpfen würde." "Feuilleton-Cowboys" ist fast so wunderschön wie das konservative "DJ-tum", auch hier ist die Allegorie des High Noon einfach nur wunderbar treffend und so absolut sagenhaft, dass das Bild mehr Bände spricht als es der Text je könnte. Und dass all diese Cowboys so gefährlich seien, weil sie "schon längst" keine "journalistische Glaubwürdigkeit" mehr hätten, ist ein grandioser Schluss für einen metaphorisch überragenden Artikel, dessen Schlüsse immer mehr Sinn machen, je mehr man sich auf die Stilblüten einlässt.

Apropos Bilder: Es folgt dann auch noch eine grandiose Sammel- und Tauschaktion, wenn die Freitag-Redaktion im Anschluss ihre liebsten "Rechtsdenker" schön bebildert und mit kleinem Text vorstellt. Das erinnerte mich irgendwie an die alten Quartett-Spiele, die ja auch schon für geschmacklose Parodien wie das "Diktatoren-Quartett" oder "Epidemien-Quartett" herhalten mussten. Hätte man hier auch machen könne n ( So was wie http://www.theorycards.org.uk/). Und diese komprimierte Form zwingt alle zu ansagen. Matussek? "Eklig". Schwarzer? "Selbst ernannte Päpstin". Botho Strauß? "Ein Albtraum". Das Tollste: Hier komplettiert sich die Riege der "Rechtsdenker", die im Artikel ja nur etwas diffus waberte. Erstes Manko: Poschardt fehlt. Warum? Der war doch so schön im Artikel platziert, jetzt ist er aber raus, der "Oswald Spengler der konservativen Revolution". Dafür gibt es ein paar Neuzugänge. Botho Strauß zum Beispiel. Auch toll, dass hier jeder noch sein "Welcher Typ bist du?" Label bekommt: Strauß ist hier "Der Einsame", Matussek "Der Gläubige", Sarrazin überraschend "Das Role-Model", was schon verrückt ist und irgendwie auch sehr, sehr lustig. Unter den Neuzugängen auch: Peter "Der Zwangsdenker" Sloterdijk, der leider immer noch den hingeschluderten Artikel zur "Geschenk statt Zwangssteuer"-Idee aus der FAZ und den "Regeln für den Menschenpark"-Gag vorgehalten bekommt. Auch Harald "Der Wunderonkel" Martenstein ist dabei (wobei er nach Lektüre des Kurzportraits vielleicht doch besser und schulhoftauglicher "Das Opfer" hätte heißen müssen). Absoluter Favorit: Hans-Olaf "Der Hans-Olaf" Henkel. Besser kann man Hans-Olaf Henkel gar nicht labeln.

Nun aber zu den Defiziten dieses Aufmachers: Erstmal hat Sloterdijk da nichts zu suchen, das wirkt doch etwas reingezwungen. Und hat Frank Schirrmacher sich sehr geärgert, nicht dabei zu sein? Oder war er sehr froh? Warum hat ihn die Redaktion nicht einfach reingezwungen, Stoff genug aus den letzten 30 Jahren gäbe es doch. Und wenn schon Poschardt rausfliegt, wo sind denn die anderen "Pop"-Konservativen? Kracht? Stuckrad-Barre? Nichts! Da wäre mehr zu holen gewesen, wenn man nur wollte. Fleischhauer war ja auch nicht dabei, dabei schreibt der doch seit Jahren extra für einen Auftritt in diesem Aufmacher. Da scheint es doch etwas unfair, diese Leistung nicht zu würdigen. Und gab es nicht ein besseres parteipolitisches Beispiel aus selbsternannt konservativen Kreisen als Birgit Kelle?

So bleibt dann doch eher, dass der Artikel ein "dumpfes Gefühl" ausdrückt, das sich nicht so leicht an Gesichtern und Positionen festmachen lässt, wie die Bildergalerie suggeriert. Ging es denn darum, Diversität abzubilden? Oder konkrete Personen und Positionen zu benennen, an die man sich im Zweifel doch mal nachfragend wenden könnte? Aber vielleicht ist es halt so, wenn das Komplem ent zu "irgendwie links" dann eben "irgendwie rechts" ist, wenn es eben auch nichts anderes zu produzieren in der Lage ist, als das "irgendwie" geartete Gegenüber. Aber vielleicht reicht das ja auch, irgendwie.

Die wichtigsten Alben 2013 #2: Arcade Fire - Reflektor

Ich möchte diese späte Gelegenheiten mal für ein Statement nutzen: Ich hasse virales Marketing. Das mag ja vor einigen Jahren noch lustig gewesen sein, jetzt ist es doch nur ausgelutscht und prätentiös. Zum Beispiel, wenn sich Arcade Fire dazu herabschwingen, Monate vor dem Erscheinen ihres Albums an verschiedenen Orten in größeren Städten weltweit ihr "Reflektor"-Logo, diese Kreuzworträtselraute, hinsprayen zu lassen. Gut, da gehen dann unbescholtene Passanten vorbei und sehen das und denken "Aha" und gehen weiter. Haben die jetzt Lust, ein Arcade Fire Album zu kaufen? Zu googlen, woher dieses Gebilde denn kommt? Sind sie gespannt auf Musik? Nein? Wie denn auch! Und dann diese echt seventiesmäßige Stuntgag, dass die Band sich jetzt "The Reflektors" nennt, aber auch nur aus Spaß, und unter dem Namen sogenannte Secret Gigs spielt oder bei John Stuart auftreten, breit grinsend. Gut, die haben halt Spaß, schön für sie, aber was soll denn das alles? Eher durchgehen kann das "Here Comes The Night Time" Konzertvideo, das sich zwar unverschämt und auch manchmal etwas zu aufdringlich des Promi-Bonus bedient, aber doch irgendwie ein gutes Gefühl vermittelt, wo man auch etwas von dem Spaß abhaben kann, den Arcade Fire anscheinend gerade haben mit ihrer neuen Musik und Platte und Kampagne.
Der eigentliche Gag ist aber doch, wie wenig Arcade Fire diesen Schnickschnack brauchen. Nicht erst seit dem Grammy für "The Suburbs" liegen denen doch wirklich alle zu Füßen, die was mit Musik am Hut haben. Wen interessiert da, ob avid Bowie auf dem Titelstück im Background singt? Diese Band braucht doch wirklich nur sich selbst und besteht immerhin aus ordentlich vielen Kernmitgliedern und x-vielen Semi-Mitgliedern aus dem Montréal Pool um Broken Social Scene, Stars, Owen Pallett etc. Und wer "Reflektor" gehört hat, der braucht sich sowieso nur zu fragen, warum diese Band sich mehr und mehr auf das Name- und Facedropping befreundeter Kollegen verlässt. Weder Bono noch ettliche Saturday Night Live Alumni oder der Coppola-Clan  können dieser Band mit der astreinen weißen musikalischen Weste hinzufügen, was diese nicht schon selbst hinzugefügt hätten.
Und dann ist "Reflektor" auch komischerweise so kontrovers aufgenommen worden, dass gestandene Arcade Fire Altarbauer wie Karsten dieses Album nicht gut finden. Ich verstehe bis heute nicht, warum. Denn wenn eine Band ihren eigenen Sound immer wieder ausdefiniert hat, dann doch Arcade Fire. "Funeral" klingt weder wie "Neon Bible", noch klingen diese wie "The Suburbs", aber die Elemente, die tilmittel, aus denen das ganze Zusammengebraut ist, bleiben die gleichen: Pathos, Feingefühl für kompositorische Details, der Butler/Chassagne-Gesangsdualismus, die Streicher, die Guitarren, die Chöre, die große Geste und das verschachtelt Poetische. Und der "Jetzt ist irgendwie mehr Eelektro"-Vorwurf oder Punkt ist auch eher unsinn, spätestens seit "Sprawl II", einem Fanfavoriten vom "Suburbs"-Album, das in sich mehr Disco enthält als die gesamte "Reflektor"-Platte zusammen. Und das ist auch überhaupt der Punkt: Weder die James Murphisierung noch die Elektrifizierung der Band hat mit "Reflektor" eingesetzt, wie manche fürchteten. Auch der kompromittierende Ausverkauf oder Bling Bling blieb, zumindest musikalisch, aus. "Reflektor" ist ein wunderschönes, manchmal überbordendes und alles in allem hervorragend rundes Arcade Fire Album.Punkt. Und selbst, wenn der Titeltrack sich durch den Discosumpf stampft, selbst wenn "Porno" einen dümmlichen Titel mit billigen Presetsounds ableiert, so kriegen beide Tracks doch immer wieder die Kurve ins absolut Arcadefirehafte und Verzückende und sei es nur unter der etwas schwerer durchdringlichen Oberfläche zu finden. Auch die "Billie Jean"-Hommage "We Exist" ist kein Ausreißer, sondern ein Aufstapler auf dem bandeigenen Soundberg, genau wie die Schrammelorgien "Normal Person" und "Joan of Arc". Das Orpheus-und Eurydike-Diptychon "Awful Sound" und "It's Never Over" ist sogar ein absolutes Highlight im Bandschaffen. Gerade bei letzterem bahnt sich aus dem Hintergrund bollernd ein Song, eine Melodie, eine Komposition an, die dann in dem schier unglaublichen Riff und Rhytmus hineinrast, den du einfach nicht fassen kannst: groß, größer, Arcade Fire. Und mit "Afterlife" hat diese Band sogar einen der Übersongs des Jahres erschaffen, der endlich den Kreis zu "Dancing with Tears in my Eyes" mit der Ergänzung "like nobody is watchnig" schließt (was auch Great Gerwig in ihrem ganz wundervollen Auftritt bei den Youtube Awards umsetzt). "Reflektor" ist nicht nur ein weiterer Stein im Indie-Monument namens Arcade Fire, es ist sogar ein ganzer Gebirgszusatz, ein wind- und wetterfestes Monstrum an Musik, Ideenreichtum und Genialität, dass über alles Prätentiöse, was diese Band ja immer riskant im Schlepptau hatte, auch hier mit großer Freude wieder hinweg gesehen werden kann, ja es muss sogar regelgerecht abgeschafft gefordert werden! Denn auch, wenn Arcade Fire sicher niemandem mehr etwas beweisen müssen - mit "Reflektor" tun sie es trotzdem.

Mittwoch, 5. März 2014

Die wichtigsten Alben 2013 #3: Volcano Choir - Repave

Wir leben in komischen Zeiten. In Zeiten zum Beispiel, in denen ein Typ wie Justin Vernon so richtig durch die Decke gehen kann. Denn erinnern wir uns: Erst bringt der uns das Hipster-Holzfäller-Break-Up-Album schlechthin mit "For Emma, Forever Ago". Dann macht der tausend andere Bands auf und nudelt sich zwischen Kanye West, Autotune und Phil Collins hindurch, bis schließlich mit "Bon Iver, Bon Iver" das Über-Album des Stadionfolk herauskommt, nur, um dann immer komische Sachen im Internet zu erzählen mit einer Diktion und Grammatik, so dermaßen in einem Nullverhältnis zu seinem musikalischen Schaffen steht - im Gegensatz zum Beispiel eben zu Kanye West, der redet, wie er musiziert. "Bon Iver, Bon Iver" war vor einigen Jahren das Konsnsalbum des Jahres: Es hatte den hantologisch angehauchten körperlosen Sound, die emotionale Schwerkraft und genug Köpfchen in den Arrangements um wirklich jedem zu gefallen, der auch nur etwas auf seinen distinguierten und feinsinnigen Musikgeschmackt gibt. Umso komischer, dass "Repave" 2013 dann etwas unterging. Komisch aus mehreren Gründen, von denen aber diese hervorstechen: Erstens klingt "Repave" wie die noch zugänglichere, noch stadiontauglichere und euphorischere Variante von "Bon Iver, Bon Iver". Hier sind alle Mittel weiterhin vorhanden, die letztere Platte so groß machten, aber kompakter, kondensierter und geerdeter. Zudem war auch noch Vernon als Sänger mit an Bord, weshalb er zwar noch so oft betonen konnte, dass hier die Band Collections Of Collonies Of Bees (kein Wunder auch, dass die keiner kennt mit diesem Namen...) alles macht und er nur zum singen kommt: Volcano Choir liefern genauso ab wie Vernons Band Bon Iver es kann, auch wenn die Vorgängerplatte unter diesem Namen mit dem Namen "Unmap" doch eher nach unfertigen Skizzen und wenig Wille zur geraden Linie klang. "Repave" löst umso mehr ein, was "Unmap" hätte versprechen sollen, sogar auch das, was man von Bon Iver als nächstes erwartet hätte.
"Acetate", "Comrade", "Bygone", Dancepack" und "Almanac" sind dabei die absoluten Highlights eines experimentell interessierten Folkrock, wie eben nur aus Vernons Dunstkreis zu erwarten ist. Da überschlagen sich die Effekte, die Rhythmen brechen über die getragenen Passagen herein und am Ende steht immer mit ausgebreiteten Armen ein Finale vor dir, das einem die Schuhe auszieht, das überall die Lichter anzündet und Welten kollabieren lässt. Klar, auch hier sind die Naturasoziationen so zahlreich wie bei einer Sigur Ros Platte, arbiten beide Bands doch mit ähnlichen Mitteln, die zwischen Kunst und Naturalismus vermitteln. Aber das ist ja nicht verkehrt, das ist sogar sehr toll, hat eine absolut packeisdicke Atmosphäre abzuliefern un sprudelt immer wieder über seine eigenen Strände hinweg, das es nur schäumt. "Repave" ist ein Monument modernen Folkroks; ein vergessenes, häufig übersehenes zwar, dafür aber umso intensiver, eindringlicher und rauher, wie ein Tag auf stürmischer See - der ist nicht umsonst auch auf dem Albumcover zu sehen. Zeit also wieder mal auf Entdeckungsreise zu gehen.

Dienstag, 4. März 2014

Die wichtigsten Alben 2013 #4: Phoenix - Bankrupt

Phoenix, sowas wie die Newcomer des Jahres. Zumindest, wenn man den Festivalkommentator*innen dieser Welt glauben wollte, die auf einmal nicht mehr nur die Powerpopsensation aus Frankreich mit dem Sophia Coppolla Indie Feel Good Bonus, sondern die große Headliner Konsensband gesehen haben wollen. Nur komisch,d ass Eins Live noch immer lieber "Lisztomania" als "SOS in Bel-Air" spielt (wenngleich Eins Live sicher nicht Gradmesser der Coolness, aber des lokal begrenzten Konsens ist). Aber warum, das weiß nun wirklich keiner.
Mich hat damals, auch wenn Falk das nicht glaubt, die "Wolfgang Amadeus Phoenix" Platte richtig umgehauen. So super haben die noch nie gespielt, so druckvoll produziert und lässig gutgelaunt aber trotzdem catchy intelligent, der Heilige Gral des Pop sozusagen. Auch wenn "Alphabetical" zum Beispiel auch toll, aber etwas zu verschnarcht war, auch wenn "Long Distance Call" einer der unterschätztestens Popsongs aller Zeiten ist, "Wolfgang Amadeus Phoenix" war soetwas wie ein Reboot, ein Aufsteigen aus der Asche des Potentials ins Feuerwerk der Spielfreude. Und jetzt meckern alle über "Bankrupt" und wir hier beim Ansagenfeuilleton fragen uns ernsthaft, ob alle nicht eine totale Meise haben. Als sei "Bankrupt" nur wegen des verstärkten Synthie-Sounds nicht ebenbürtig knackig geraten. Als wäre auf einmal Geschwurbel King statt auf den Takt genau konstruierte Pop-Perlen. Aber das lässt sich angesichts von Brechern wie "Entertainment", "SOS in Bel-Air", "Chloroform" oder "Oblique City" überhaupt nicht halten, ganz im Gegenteil! Und auch das Titelstück, bei dem nun wirklich die Synthie-Lötkobeln durchdrehen, ist auch kein Kronzeuge der neuen Verkopft- und Verkrampftheit, sondern eher Monument eines Songwritings, das auch mal über sich selber lachen kann, wie es eben das beste Songwriting und die besten Menschen im Leben auch so können.
Und das ist ja überhaupt der Witz: Welche Band spielt denn ihre Nonchalance heute noch so gekonnt aus wie Phoenix? Und welcher Band gelingen so schwer erarbeitete Leichtigkeiten wie "Bourgeois", das durchaus vom Kopf durch den Magen in die Liebe geht, ohne über prätentiöse Ausfälle zu stolpern? Wer kann sich denn heute noch erlauben, so charmant und gewollt wie gekonnt Kinderchöre überklischeeisierte Asia-Melodien singen zu lassen? Und wer kreiert dabei noch im Handumdrehen die großen Popmomente eines auslaufenden und großartigen Musikjahres?
Und wer wundert sich dann denn bitte noch, dass Phoenix den Thron besteigen dürfen, den sie sich doch schon seit Ewigkeiten verdient haben?