Dietmar Dath - Fluch oder Segen? Wir finden: Eine sehr berechtigte Frage. Denn grundsätzlich müssen sich rechtmäßig so genannte "Vielschreiber" dem Vorwurf aussetzen, gleichzeitig "Wenigdenker" zu sein, so gesehen zum Beispiel bei Peter Sloterdijk oder im vertraulichen Gespräch mit Universitätsmitarbeitern. Wer so viel schreibt wie Dath begibt sich erstmal auf dünnes Eis: Nicht nur produziert er übermäßig Aussagen, die einem übel aufstoßen oder einen noch übler aufwühlen, schlimmsten falls mehr als gleichgültig sind, nein, auch muss der Verdacht ausgeräumt werden, dass jemand, der so viel schreibt letztlich nicht viel zu sagen hat, sonst müsste er nicht weiter und weiter schreiben, reden, schreiben und schreiben.
Bei Dietmar Dath kommt noch der etwas lustige, manchem gar furchtbar wähnende Zustand hinzu, dass Dath nicht nur ein Gedankenwerk produziert (zumindest scheint es erstmal so), sondern auch noch ein Genre Bender ist. Dath schreibt nicht nur Rosa-Luxemburg-Biographien, er schreibt auch Bildungsbürgersciencefiction, Manifeste und Konzertkritiken, DVD-Empfehlungen und allgemeine Reflexionen zu allgemeinen Themen, die Sie, ja genau Sie, so sicher nicht gesehen hätten. Kann also jemand all das ernsthaft meinen, betreiben, kann also überhaupt irgendjemand nachvollziehen, was Dietmar Dath dort macht? Und noch viel, viel wichtiger: Ist das nun Segen oder Fluch?
Wenn Soe sich also für Theorien interessieren, wenn sie gerne TV-Serien gucken und Popcorn mögen, wenn Sie bedauern, dass linke Politik so hinter ihren Möglichkiten steckt, wenn Sie sich als Politologe gerne mit Biologinnen unterhalten, Metallica mögen und sich fragen, was die Quantenphysik für Ihre Jugend leisten kann und konnte und wenn Sie alles, was "Pop" heißen kann für diskurswürdig halten und sich zwischen Spx und FAZ-Feuilleton genauso zuhause fühlen wie im Programm von Heyne und Suhrkamp, dann ist Dath ihr Mann. Ist er nicht? Pech für Sie!
Gehen wir einmal in medias res und lesen folgenden willkürlich ausgewählten Satz:
"Sobald es um soziale Spielchen geht, kann man Lügen gar nicht lange aufrechterhalten, ohne sie zu glauben." Oder diesen:
"Der Nährboden dieser Art Härte ist natürlich ein sozialer: Wer es weiß, kann gar nicht überhören, dass die Musiker der besten Metal-Bands aus einer Position heraus ihre Platten aufnehmen und Konzerte geben, welche davon ausgeht, dass es für diese Menschen zum Musikmachen nur die Alternativen einer blöden und langweiligen Erwerbsarbeit beziehungsweise der Dienstverpflichtung in der Armee gegeben hätte." Oder diesen aus "Die Abschaffung der Arten": "'Wieso', fragte die Libelle Philomena ihre liebste Freundin, die Fledermaus Izquierda, 'ist den Menschen eigentlich passiert, was ihnen passiert ist?'" Oder diesen aus dem mit Barbara Kirchner verfassten "Implex": "Je größer unter diesen Bedingungen die Reichweite derjenigen Wirtschaftsweise wird, die als alternativlos gilt, weil sie das Gros der warenförmigen Reichtümer hervorbringt, von denen tatsächlich alle leben, je mehr also die Welt der kapitalistischen Produktion und Distribution territorial, strukturell, dynamisch und historisch zusammenfällt mit der ersten wirklichen Weltgesellschaft, desto mehr Leute werden von diesem ebenso übermächtigen wie äußerst störanfälligen Umschlag ungeheurer Quantitäten zu neuen Gesellschaftsqualia in eine große Vergleichsmaschine gesaugt, die alle Unterschiede macht, von denen noch irgendwer weiß, und keinen mehr, den irgendwer begreift." Sehen Sie den Zusammenhang? Wenn nicht, dann müssen Sie diese sicher mal als Podiumsgespräch begonnene reine
Zitatesammlung aus dem Bayrischen Rundfunk hören. Das sagt schon alles, nämlich, dass Dath einfach alles sagt, weil er es kann, weil er es einfach macht, weil es in sich stimmiger ist, als man denkt, wenn man denkt wie Dath, dass man eben auch Science-Fiction schreibt, wenn man sich durchaus für Science und Fiction interessiert, dass auch der linke Utopianismus danach die Fühler streckt, genau wie der absolute Kulturindustriefabrikant, genau wie der Smartphonehersteller und der Metal-Guitarrist, sie bauen, baeun, bauen künstliche, kunstvolle und stabile Gebäude des Fühlens, Handelns, Reflektierens, und wem das zu viel Spontiseminar wird, der kann sich über das Technobabbel genauso freuen wie über den süffisant eingewobenen Pop-Referenzialismus.
Die Frage ist dann eben, ob Dath sich nicht zu monadig verhält, obwohl er sich als Debattenkatalysator mit Weitblick generiert. Ob seine Multiplikationstexte, die kaum differenzieren, subtrahieren und dividieren, nicht letztlich ausgehölt werden und in sich zusammenfallen. Dass es also letztlich bei Dath zu viel und zu viel Dath gibt. Und ob es wünschenswert ist, dass die Debattenimpulse doch selten mainstreamfähig, eher randständig, aber doch immer wieder gewollt und forciert populär werden (aber für wen nur?). Und genau das ist die Frage nach Fluch oder Segen, nicht nur Dieatmar Daths für uns, sondern auch für sich, an sich.
Aber wir mögen Science Fiction. Wir mögen Gesellschaftstheorie. Wir mögen die vierte Staffel "Castle". Wir mögen Metallica, den Pop-Diskurs und wir mögen die Idee des Quantencomputing. Und weil Dath sich selten als Schnösel geben möchte, weil er sein Interesse an all diesem Quatsch und Wahnsinn und Spaß als genuin vorzubringen weiß, weil er eben schreibt, weil er anscheinend schreiben muss, weil die Science nie reicht und die Fiction auch nicht, weil Rosa Luxemburg und Hollywood, Lenin und Superman eben doch in einen Text, einen Kopf, einen Diskurs passen und irgendwie auch gehören, weil es eben doch toll ist, so unterschiedliche Sätze für unterschiedliche Köpfe mit unterschiedlichen Verdauungskompetenzen zu produzieren, die im Zweifel schillern und irrlichtern, die im besten Fall aufkratzen und kritisch erheitern, die immer irgendwie herausfordern und doch wärmen wollen und weil dies kein anderer gerade so macht, kann und will und muss wie Dietmar Dath, sagen wir hier beim Ansagenfeuilleton, ganz eindeutig: Segen!