Mittwoch, 12. März 2014

Die wichtigsten Alben 2013 #1: Sigur Rós - Kveikur

Das Musikjahr 2013 war weitestgehend unfair, zumindest, wenn man sich die ganzen Jahresbestenlisten anschaut, sozusagen die Konkurrenz zu uns hier beim Ansagenfeuilleton, die natürlich viel schneller, angesagter und quitschfiedeler war, aber wir sagen uns auch immer sowas wie "everything in its own time" und solche Kalendersprüche, was unsere Mütter, unsere Väter mal "Gut Ding will Weile haben" oder ähnlich nannten, aber das führt uns jetzt wieder weg von unserem eigentlichen Thema, nämlich dem unfairen Musikjahresrückblickdesaster von 2013: Alle, also so gut wie alle, haben "Kveikur" von Sigur Rós übersehen. Sicher, wir haben hier auch vieles übersehen oder vermeintlich nicht gewürdigt: Boards of Canada, Rhye, My Bloody Valentine, The Knife, Bill Calahan, David Bowie oder Janelle Monae haben es nicht in unsere Liste geschafft, aus jeweils eigenen Gründen versteht sich, oft nicht aus Prinzip (Ausnahme: My Bloody Valentine, diese Resterampe könnt ihr behalten). Aber dass sowohl beim NME, bei der Intro, dem amerikanischen Rolling Stone oder bei Pitchfork, um nur einige zu nennen, wurde "Kveikur" überhaupt in den Jahresrückblicken erwähnt. Selbst so zweifelhafte Portlae wie Laut.de platzierten lieber Unfug wie Robbie Williams oder Alligatoah in ihre Top 50 als "Kveikur" auch nur mit der Kneifzange anzufassen - so jedenfalls muss das uns vorkommen, hier beim Ansagenfeuilleton, die dieses Album zum #1 wichtigsten Album 2013 erklären. Und jetzt müssen wir uns auch aus Gründen der Hipness und des guten Geschmacks dafür verteidigen, argumentativ weit ausholen und tief in die Trickkiste der Überzeugunsarbeit greifen um zu erklären, warum das auch alles so gehört.
Ich zumindest habe meine eigene These dazu, warum "Kveikur" so glorreich verschwiegen wurde in den populären Jahresrückblicken. Denn diese sind in erster Linie doch irgendwie immer dem Neuheitswahn verschrieben. Der Fluch des Internets für den Musikjournalismus ist doch einheitlich die Angst, das Angesagte zu verpassen und gerade das Jahr im Rückblick nicht richtig gedeutet zu haben, weshalb sowohl sehr gute Comeback-Alben file under Nick Cave oder eben absolut konsensfähige Reifungsalben (wenn nicht gar absolut hinreißende Debüts, aber die Zeit ist gerade nicht) an die Spitzenpositionen gewählt werden. "Kveikur" ist nichts davon. Jedenfalls nicht auf den ersten Blick. Dazu kommt, dass Sigur Rós schon notorisch zu den Bands gehören, die in einer eigenen Liga spielen. Und diese Liga kann auch wirklich "Sigur Rós Liga" heißen, was sie sowohl vom Rest abhebt, als auch vergleichsweise unvergleichbar mit allem anderen macht. Aber letztlich stimmt das nicht, denn Sigur Rós sind keine Band, die nicht auf diesen Planeten gehört, sie sind auch keine Ausnahmeerscheinung in dem Sinne, dass man sie nicht mehr berücksichtigen muss, weil man sie nicht berücksichtigen kann. Sie sind nicht die Rolling Stones, deren Mojo schon ewig verschossen ist, denen man aber insgeheim trotzdem ein ihren Status wieder rechtmäßig zementierendes Werk zutraut. Sie sind auch nicht Radiohead, obwohl Radiohead fast Sigur Rós sind, allerdings wird bei jeder VÖ von Radiohead die Frage einer der ersten sein wird, wie plattendesjahresmäßig sie wohl ist - und das, obwohl Radiohead schon längst auch ihre eigene Liga haben, bei der es aber immer auch um den wohlverdienten Thron geht. Sigur Rós hingegen, die mit ähnlichen Mitteln agieren, wird immer die schlechte Sorte Esoterik unterstellt, die hart am Kitsch entlangschrammt und bei der man sich schnell die Hände schmutzig macht, lässt man sich zu sehr darauf ein. Was für ein fataler Fehler!
Denn selbst, wenn man auf das Island-Feen-Elfe-Trolle-Geysir-Vulkane-Folklore-Klischee nichts gibt oder sogar darauf hereinfällt, so sollte doch zumindest anerkannt werden, wie eigenständig, groß, ausdefiniert, variationsreich und trotzdem monadig der fast körperlose, aber immer bodenhaftende Sound von Sigur Rós ist, von der "Von"-Platte über "Takk" und "Hvarf/Heim" bis hin zu eben "Kveikur". Sigur Rós sind eine eigenen Referenzgröße, die zudem noch so Kiritikerlieblingsgenres wie Postrock gefrühstückt haben, um damit ganze Klanglandschaften zu bepflanzen und Songarchitekturen dem Babelturm gleich zu errichten. Das mag eben manchmal am Kitsch schrammen, ist aber trotzdem so durchdacht und durchfühlt wie sonstwas. Klar, wer auf Reduktion steht und Understatement, der findet das nur in kleinen Perlen verteilt. Aber Sigur Rós haben nie einen Hehl daraus gemacht, wer sie sind, woher sie kommen und was sie und wir von ihrer Musik erwarten und erwarten können. Insofern sind sie ehrlich wie der letzte vergessen Folkbarde aus den Sixties und im Grunde auch unprätentöser als alle Anti-Musiker überhaupt. Du kannst mit gezielter Überwältigung nichts anfangen? Du solltest sie aber verdammt nochmal respektieren, wenn sie auf dich zurollt wie ein perfektes Uhrwerk. Jeder einzelne Sigur Rós Song ist genau das.
Nun stellte sich auf "Valtarí" soetwas wie Langeweile ein, weil die Band zu sehr ins Sphärische und zu wenig ins Konkrete ging, obwohl der unaussprechlich betitelte Vorgänger zumindest in der ersten Hälfte genau diesen Bodenhaftungstwist vollzogen hat. Man kann nun der Band nicht vorwerfen, immer wieder zu überraschen, wenngleich mit den bekannten musikalischen Mitteln. Und "Kveikur" ist ein ähnlicher Twist: Ins düstere, Paranoide, Bedrohliche und Brummende. Und dass diese vermeintlich so vorhersehbare Band auch jetzt, lange nach ihrer Etablierung und lange nach ihren perfekten Alben wie "Takk" noch zu einer anderen Soundvariante in ihrem doch eigenen Kosmos in der Lage ist, der immer noch überwältigt, der immer noch berührt und durchschüttelt und auf den vollen Effekt mit vollem Erfolg aus ist, das ist etwas, was man keiner Band hoch genug anrechnen kann - und erst recht nicht Sigur Rós.
Da wäre der Opener "Brennisteinn", der schon so monströs wie eine Dampfwalze anrollt, ein Leviathan von einem Song, der auf seinem tiefergelegten Synthiebass unerbittlich in den Pophimmel reitet. Da wäre das auf seinen Geigen im 4/4-Takt galoppierende "Ísjaki", das glänzende "Stormur", das die Nacht zum Tag verwandelt, das herzergreifende "Rafstraumur" oder der Geistertanz in "Yfirborð", die alle im Klangkosmos dieser Band den Olymp erklimmen und absolute Höchstleistungen an kompositorischem Willen sind - auch jenseits der Sigur Rós Liga, nach der ohnehin jede dritte Band ihre Fühler ausstreckt, früher oder später. Absolutes Highlight und Wendepunkt im Musikzeitalter schlechthin ist der Titelsong "Kveikur", der so einzigartig wie unerwartet, einfach überrollend und sprachlos machend ist: Es knarzt, quietscht und brummt an allen Ecken und Enden, das Schlagzeug grollt wie eine Lawine und die Guitarrensaiten zereisst es nahezu. Was für ein Monstrum von Song, der einmal mehr beweist, wie viel dieser Band zuzutrauen ist, selbst wenn sie sich auf noch unbetretene Wege traut, wieviel Perfektion in diesem Koloss von Album steckt, das einen mit einer unglaublichen Selbstverständlich- und Leichtigkeit in ein Wechselbad der Gefühle, Genres und Ideen schmeißt, ohne je vergessen zu machen, wer hier die musikalischen Fäden führt. Soetwas von einer mittlerweile dreiköpfigen Band überhaupt in der Intensität und Konsequenz geliefert zu kommen, von einer Band, der viele ent- und die einige nahezu totgesagt haben, von der alle dachten, sie werde sich nun in ihren selbsterrichteten und -gefäligen Klangkosmos zurückziehen, ist schier unglaublich und ein Glücksfall für das Musikjahr 2013 wie für Musik generell - und mit sicherheit mehr als ein Grund, die unfairen und im Grunde ignoranten Jahresranglisten zu 2013 noch einmal stark zu überdenken.

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