Sonntag, 21. Juli 2013

Eine Falle für Prof. Dr. Bernd Lucke

Als vor einigen Wochen die Sommerpause nicht nur wettertechnisch, sondern auch redaktionell über uns ganz offensichtlich hereinbrach, entschloss sich die Feuilleton-Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) in einem grandiosen Coup, ihre Arbeit auf Politiker abzuwälzen, die einen Fragebogen mit dem rührend emphatischen Titel "Was sehen, hören, lesen Sie?" auszufüllen die Muße fanden. Dort wurde nach Lektüren von Rainald Goetz ebenso gefragt wie nach lebensverändernden Filmerlebnissen und der Haltung zu Hedi Slimanes Logo-Kürzung bei Yves-Saint-Laurent. Soweit, so bieder. Die Seiten, die sich so fast ohne Zutun redaktionellen Inhaltes mit den immergleichen Fragen und den immer langweiligeren Antworten füllten, lasen sich an einem verkaterten Sonntag (der von mir erst in der Bar Ludwig, dann im Blow Up eingeleitet wurde) ganz hervorragend und mit genau der intellektuellen Anstrengung, die einem Post-Bier-Frühstück angemessen schienen. 
Es sollte sich doch eine Woche später herausstellen, dass das ganze eine Falle war. Nicht für Peer Steinbrück, dessen Einsilbigkeit geradezu trademarkmäßig einschlug, auch nicht für die praktizierende Protestantin Katrin Göring-Eckardt, die ihr Leben zwischen der Lektüre von "loslabern" und Kirchentagliedern erschreckend formidabel einzirichten scheint. Die Falle, die gestellt wurde, galt einzig und allein Prof. Dr. Bernd Lucke von der "Alternative für Deutschland" (AfD).
Mir jedenfalls fiel Luckes Antwortschema genug aus dem Rahmen, um kurz über den Kaffeerand aufzuschauen. Lucke brauchte also keinen Ratgeber, und wenn dann Loriot. Lucke heißt also nicht Claudia Roth, weil noch nie ein Film sein Leben verändert hat. Lucke findet es schwierig, Millionär zu werden und spielt in seiner Partei erste Geige. Und dann sind auf Kirchentagen auch noch alle wirtschaftswissenschaftliche Geisterfahrer. Okay, soweit, so langweilig. Der wird sich nicht viel dabei gedacht haben, denke ich mir, wenn er denn nicht so wie ich nicht allzuviel geschlafen hatte. Kommt vor, gerade im Wahlkampf. Da kann man sich auch mal schön in den Garten setzen und einem etwas ausgestanzten Fragebogen mit pennälerhafter Spitzfindigkeit entgegentreten. Hat der ja auch so gewollt. Oder?
Eben nicht. 
Eine Woche später, am 7.7.2013, veröffentlichte Timo Frasch in der "Meinungs" Sektion seine Meinung, und die lautete: "Nein, diesen Lucke wähl ich nicht". Und warum wählt Frasch diesen Lucke nicht? Weil er sich so arrogant und besserwisserisch in diesem Fragebogen der FAS verhalten hat. Gut, das ist halt eine "Meinung". Aber auf der nächsten Seite, die den Meinungen der Leser*innen überlassen wird, war ein Leserbrief mit fast haargenau gleichem Inhalt zu entdecken.
Gut, da musste etwas dran sein. Und es ist ja auch Wahlkampf. Lucke musste das wissen. Frasch wusste das. Die Leserbreifschreiber*innen wussten das. Wusste Lucke es nicht? Konnte er nicht ahnen, dass ihm eine falsche, eine blöde, eine hochnäsige oder abwegige Antwort Stimmen kosten würden? Nun wissen wir nicht, ob Frasch oder die Leserbriefschreibenden zuvor ihr Kreuz ganz sicher bei der "AfD" gemacht hätten. Aber wie viele Redakteure, wie viele nichtartikulierte innere Leserbriefe an Lucke und sein Antwortverhalten werden ähnlich gedacht haben wie Frasch? 
Nun muss man Lucke sicher nicht in Schutz nehmen vor dem Feuilleton der FAS oder ihren Politikredakteuren, schon gar nicht vor einem Leserbrief. Dass harmlose Fragen jedoch nicht nur harmlose Antworten hervorbringen, so unbedarft sie auch gestellt, so albern sie auch beantwortet werden mögen, das war das eigentlich Perfide an einem Fragebogen mit dem rührend emphatischen Titel "Was sehen, hören, lesen Sie" - dass er unterschwellig immer mit "Wen mögen, schätzen, wählen wir" übersetzt wird.

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