Dienstag, 11. März 2014

Die wichtigsten Alben 2013 #2: Arcade Fire - Reflektor

Ich möchte diese späte Gelegenheiten mal für ein Statement nutzen: Ich hasse virales Marketing. Das mag ja vor einigen Jahren noch lustig gewesen sein, jetzt ist es doch nur ausgelutscht und prätentiös. Zum Beispiel, wenn sich Arcade Fire dazu herabschwingen, Monate vor dem Erscheinen ihres Albums an verschiedenen Orten in größeren Städten weltweit ihr "Reflektor"-Logo, diese Kreuzworträtselraute, hinsprayen zu lassen. Gut, da gehen dann unbescholtene Passanten vorbei und sehen das und denken "Aha" und gehen weiter. Haben die jetzt Lust, ein Arcade Fire Album zu kaufen? Zu googlen, woher dieses Gebilde denn kommt? Sind sie gespannt auf Musik? Nein? Wie denn auch! Und dann diese echt seventiesmäßige Stuntgag, dass die Band sich jetzt "The Reflektors" nennt, aber auch nur aus Spaß, und unter dem Namen sogenannte Secret Gigs spielt oder bei John Stuart auftreten, breit grinsend. Gut, die haben halt Spaß, schön für sie, aber was soll denn das alles? Eher durchgehen kann das "Here Comes The Night Time" Konzertvideo, das sich zwar unverschämt und auch manchmal etwas zu aufdringlich des Promi-Bonus bedient, aber doch irgendwie ein gutes Gefühl vermittelt, wo man auch etwas von dem Spaß abhaben kann, den Arcade Fire anscheinend gerade haben mit ihrer neuen Musik und Platte und Kampagne.
Der eigentliche Gag ist aber doch, wie wenig Arcade Fire diesen Schnickschnack brauchen. Nicht erst seit dem Grammy für "The Suburbs" liegen denen doch wirklich alle zu Füßen, die was mit Musik am Hut haben. Wen interessiert da, ob avid Bowie auf dem Titelstück im Background singt? Diese Band braucht doch wirklich nur sich selbst und besteht immerhin aus ordentlich vielen Kernmitgliedern und x-vielen Semi-Mitgliedern aus dem Montréal Pool um Broken Social Scene, Stars, Owen Pallett etc. Und wer "Reflektor" gehört hat, der braucht sich sowieso nur zu fragen, warum diese Band sich mehr und mehr auf das Name- und Facedropping befreundeter Kollegen verlässt. Weder Bono noch ettliche Saturday Night Live Alumni oder der Coppola-Clan  können dieser Band mit der astreinen weißen musikalischen Weste hinzufügen, was diese nicht schon selbst hinzugefügt hätten.
Und dann ist "Reflektor" auch komischerweise so kontrovers aufgenommen worden, dass gestandene Arcade Fire Altarbauer wie Karsten dieses Album nicht gut finden. Ich verstehe bis heute nicht, warum. Denn wenn eine Band ihren eigenen Sound immer wieder ausdefiniert hat, dann doch Arcade Fire. "Funeral" klingt weder wie "Neon Bible", noch klingen diese wie "The Suburbs", aber die Elemente, die tilmittel, aus denen das ganze Zusammengebraut ist, bleiben die gleichen: Pathos, Feingefühl für kompositorische Details, der Butler/Chassagne-Gesangsdualismus, die Streicher, die Guitarren, die Chöre, die große Geste und das verschachtelt Poetische. Und der "Jetzt ist irgendwie mehr Eelektro"-Vorwurf oder Punkt ist auch eher unsinn, spätestens seit "Sprawl II", einem Fanfavoriten vom "Suburbs"-Album, das in sich mehr Disco enthält als die gesamte "Reflektor"-Platte zusammen. Und das ist auch überhaupt der Punkt: Weder die James Murphisierung noch die Elektrifizierung der Band hat mit "Reflektor" eingesetzt, wie manche fürchteten. Auch der kompromittierende Ausverkauf oder Bling Bling blieb, zumindest musikalisch, aus. "Reflektor" ist ein wunderschönes, manchmal überbordendes und alles in allem hervorragend rundes Arcade Fire Album.Punkt. Und selbst, wenn der Titeltrack sich durch den Discosumpf stampft, selbst wenn "Porno" einen dümmlichen Titel mit billigen Presetsounds ableiert, so kriegen beide Tracks doch immer wieder die Kurve ins absolut Arcadefirehafte und Verzückende und sei es nur unter der etwas schwerer durchdringlichen Oberfläche zu finden. Auch die "Billie Jean"-Hommage "We Exist" ist kein Ausreißer, sondern ein Aufstapler auf dem bandeigenen Soundberg, genau wie die Schrammelorgien "Normal Person" und "Joan of Arc". Das Orpheus-und Eurydike-Diptychon "Awful Sound" und "It's Never Over" ist sogar ein absolutes Highlight im Bandschaffen. Gerade bei letzterem bahnt sich aus dem Hintergrund bollernd ein Song, eine Melodie, eine Komposition an, die dann in dem schier unglaublichen Riff und Rhytmus hineinrast, den du einfach nicht fassen kannst: groß, größer, Arcade Fire. Und mit "Afterlife" hat diese Band sogar einen der Übersongs des Jahres erschaffen, der endlich den Kreis zu "Dancing with Tears in my Eyes" mit der Ergänzung "like nobody is watchnig" schließt (was auch Great Gerwig in ihrem ganz wundervollen Auftritt bei den Youtube Awards umsetzt). "Reflektor" ist nicht nur ein weiterer Stein im Indie-Monument namens Arcade Fire, es ist sogar ein ganzer Gebirgszusatz, ein wind- und wetterfestes Monstrum an Musik, Ideenreichtum und Genialität, dass über alles Prätentiöse, was diese Band ja immer riskant im Schlepptau hatte, auch hier mit großer Freude wieder hinweg gesehen werden kann, ja es muss sogar regelgerecht abgeschafft gefordert werden! Denn auch, wenn Arcade Fire sicher niemandem mehr etwas beweisen müssen - mit "Reflektor" tun sie es trotzdem.

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