Donnerstag, 27. März 2014

Ansage #6: Zocken

Ich habe es bis zum Kabe-Artikel heute gar nicht gewusst, aber es stimmt: Die Krim-Krise bzw. deren Analyse bringt den guten alten Spielvergleich wieder hervor: Putin spielt Schach! Oder auch nicht, je nachdem.
In einem der wirklich besten Gespräche aller Zeiten (!), der Folge Nummer 29 von Frank Riegers und Fefes Podcast "Alternativlos", die dann auch noch grandioserweise Frank Schirrmacher als Special Guest Star hat, weist Rieger darauf hin, dass eine Erklärung der Strategien im Kalten Krieg auch sein könnte, dass auf russisch-sowjetischer Seite klassischerweise Schach gespielt wird, auf amerikanischer allerdings Poker und dass sich dies auch in den politisch-militärischen und daran angelehnten Vorgehensweisen spiegele. Da ist mir beim Joggen fast der Kopfhörer aus den Ohren geflogen und Schirrmacher ist auch gleich ganz baff von diesem Explanans, wobei ich eher dachte: Naja, das ist jetzt ja ein merkwürdig kultursubstantieller Vergleich, dessen Allegorisierung aber so tolle Schönheit besitzt, dass man ihn gerne annimmt.
Und jetzt das: Die Schachspieler sind zurück! Allerdings spielt der Westen laut Kaubes Zusammenfassung jetzt kein Poker mehr, sondern Monopoly. Gut, mag man da sagen, bei beidem geht es in erster Linie um Geld. Dass Monopoly jedoch auf dem Würfelprinzip beruht und im Grunde keinerlei Strategie benötigt, Poker aber vor allem, wie sagt man, nicht das Spiel, sondern den Gegner spielt, das marginalisiert den zockenden Westen aber ganz schön, während Kaube zu Recht darauf verweist, wie sehr der Schach-Vergleich den Politiker doch adelt, gilt das doch ebenso zu Recht als ein anspruchsvolles und radikales Spiel.
Überhaupt, die Spieltheorie wird jetzt wieder gezückt, wie im Kalten Krieg. Meisterstück dieser Wiederentdeckung ist der Artikel Tyler Cowens in der NYT. Im Grunde geht es darum zu berechnen, wie die nächsten Moves des Gegenüber aussehen und nach welchen Prämissen er dabei handeln wird. Cowen ist Ökonom und lustigerweise funktionieren die Investitionsmärkte nach diesem Prinzip, was den Monopoly-Vergleich irgendwie plausibler macht, wobei Poker eben plausibler ist, denn bei Monopoly weiß man einfach nicht, welches Risiko man eingeht und welches nicht, wenn die Würfel einen eh auf das Feld mit den drei Hotels schickt oder auf das Frei Parken. Ganz unsichere Kiste.
Sowohl Rieger als auch Kaube und Cowen unterschlagen aber, dass gerade der Think Tank der amerikanischen Nachkriegspsychologie, die Kybernetiker, gar nicht so sehr von Poker oder Konopoly oder Jenga oder Mensch Ärger Dich Nicht oder Federball fasziniert waren, sondern eben auch von Schach. Genau die Leute, die Truppenpsychologie und FLAK-Systeme gebaut haben, träumten von einem echten künstlichen Schachcomputer, sozusagen dem Opus Magnum künstlicher Intelligenz, der eben seinem Gegenüber immer einen bis fünf Schritte voraus sein sollte, der seinen Gegenüber studiert und variantenreich spielen kann. Genau die Wissenschaft also, die uns die Zockerei der Wall Street, die Massenpsychologie und das Internet in der Wurzel gebracht und umgekrempelt hat, wollte nichts von Poker wissen und auch nichts von Monopoly, sondern von Schach spielenden Maschinensystemen.
Kaube bringt den etwas ulkigen Vergleich mit der Schachspieler-Weltrangliste, dass sich darauf doch nun wirklich kaum noch Russen befänden, sondern Norweger, Ukrainer et al. Das ist natürlich am Punkt vorbei argumentiert, denn es geht ja nicht darum, wer wo die besten hat, sondern ob das Schachspiel nicht eine Mentalitätsfigur ist, die sich kulturell verankert. Nur, weil wir z.B. Olympiasieger im Curling sind (weß jetzt nicht ob das stimmt), sind wir ja auch keine Curlingspieler, so rein mental. Aber auch diese Kulturmentalitätsargumente sind irgendwie so unterkomplex, dass man mit ihnen am besten gar nicht argumentiert. So müsste man, um genau zu sein, auch eher Fragen, was Putin, Obama, Steinmeier oder Schirrmacher als Spieler gerne spielen. Und das ist doch eine tolle Story!
Man stelle sich einfach mal diesen Vergleich in ein paar Jahrzehnten vor: Wer spielte nicht alles Flappy Birds, Threes, Quizduell? Wer ist ein Volk von Siedler von Catan Spielern? Wessen Politik wird mal mit World of Warcraft beschrieben? Denn die enorme Zockesplosion auf dem Markt, der ja wirklich weltweit ist (so wie es sicher kein derart populäres Nationalspiel mehr gibt, dass man eine Kulturmentalität darunter subsumieren kann, die sich auf den Zockerstand von vor 200 Jahren beruft), führt doch über eine rasende Diversifizierung von Zockmentalitäten, die sich bestimmt nicht mehr auf ganze Gruppen, sicher aber auf Individuen übertragen lässt. Was zocken die Abgeordneten im Bundestag vor der und während einer Abstimmung? Was die Congressmen und -women, die Duma, die UN? Und was bedeutet es, wenn wir alle mit Super Mario Bros oder Counter Strike aufgewachsen sind? Was werden wir alle mal für Politiker, Strategen, Broker oder Anwälte? Was bedeutet es, dass mit Hanabi und Die Legenden von Andor gleich zwei kooperative Spiele zum Spiel des Jahres 2013 gewählt wurden? Minesweeper oder doch Tetris (letzteres angeblich ja auch extrem russischen Ursprungs und lag auch noch fast jedem Ur-Game Boy bei!)? Alles politisch hoch brisante Fragen, die wir auf jeden Fall klären müssen, wenn es wieder darum geht zu erklären, ob wie und warum wer was zu zocken hat - politisch oder militärisch.
So sieht analytisches Mikado aus.

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