Steffen schenkte mir damals im Studium ein ihm und mir viel zu großes Boysetsfire T-Shirt, das noch aus der "After the Eulogy"-Zeit stammte. Das Beste daran war auf jeden Fall der ebenfalls viel zu große Schriftzug "TEAR IT DOWN!" auf der Rückseite. Ich trug das Shirt forthin vor allem zum Schlafen und beim Sport oder eben auf Festivals, wo das Motto der Rückseite sozusagen das raison d'être war. Jetzt in 2013 komme ich irgendwie nicht umhin, dieses Riesenshirt als Metapher für die Band und deren nun nach Reunion erschienenen Album "While a nation sleeps" zu lesen. Und das muss ich jetzt natürlich begründen.
Boysetsfire sind ja im, ja wie soll man sagen, im Hardcore/Emo (sagt man eigentlich nicht mehr, noch weniger als Screamo, oder?)/Punk eine ziemliche Nummer. Besonders eben das bereits erwähnte zweite Album "After the Eulogy" ist sowas wie ein Szene-Monument (von welcher Szene auch immer). Danach kam erst der Majorvertragausverkaufsvorwurf mit dem doch ziemlich tollen Album "Tomorrow come today" und die Platte namens "The Misery Index: Notes from the Plague Years", die alles wieder hinbog und einen genreangemessenen merkwürdig langen titel trug. Das half ja nichts, denn die Band löste sich weniger später auf und das Comeback verpuffte mehr oder weniger. "After the Eulogy", so könnte ich jetzt rüberschwenken, wurde für die Band auch ein paar nummern zu groß, wie eben das dazugehörige Shirt.
Umso größer die Erwartungen, als zum Recordstore Day 2013 eine neue Single namens "Bled dry" veröffentlicht wurde, die wieder ordentlich wummerte und, wie das für Boysetsfire immer am besten war, ziemlich sauer war, besonders auf Politik, Politiker, die USA, die Menschen und Arrrrgh! So sauer, dass Obama im Video dazu lässig die Hüften schwingen muss (ein Video, das in seinem Pessimismus eine schöne Mischung aus Al Gore Powerpoint-Präse und Pearl Jams "Do the Evolution" bildet). Und das war, entschuldigung, eine ganz schöne Ansage an das, was kommen wird. "Bled dry" hat dabei wieder so eine schöne "TEAR IT DOWN!"-Attitüde, dass es enormen Spaß macht, bei der Band wie der sowas wie genug Gatorade im Arm zu hören. Ein Versprechen an das Album, das "While a nation sleeps" leider nicht so recht einlöst.
Die erste Enttäusching ist, dass "Bled dry" gar nicht auf dem Album enthalten ist. Dabei hätte es das sehr verdient gehabt, gerade jetzt, wo die Band ihre Relevanz wieder mit Breakdowns und kreischenden Ansagenpassagen einspielen möchte. Das ist auch schnell klar, denn die ersten 5 Songs sind im Kern genau so angelegt (man höre solche, entschuldigung, Kracher wie "Until nothing remains" oder "Everything went black", bis dass mit "Save Yourself" eher radiotaugliches Geplänkel angestimmt wird, das in Zeiten von Foo Fighters und Rise Against in den tägliche Playlisten der Jugendformatsender keinen mehr so vom Hocker reißt. Und ab da gehts bergab mit der Platte (abgesehen vom großartig galleverseuchten "Wolves of Babylon"), vieles wird merkwürdig weichgespült, die Gitarren werden immer cleaner gestimmt und nach dem tollen Einstieg geht auch der Biss verloren, und damit auch irgendwie genau das, was Boysetsfire 2013 hätten abliefern müssen, genau das, weshalb alle von "Bled dry" so verdammt begeistert waren, denn mein Gott, was sind denn doch eigentlich alle furchtbar wütend, furchtbar ängstlich mit allem was ist, was da kommen könnte, dass gleich wieder alle konservativ wählen und bloß nix ändern wollen, weil Angst, weil Wut, weil Resignation, und wenn das nicht ein Existenzgrund für Bands wie Boysetsfire ist, die sowas musikalisch auf den Punkt bringen, dann weiß ich es auch nicht. Und so löst "While a nation sleeps" nur halb das ein, was Boysetsfire könnten, was sie 2013 auch noch relevant machen würde, was alle diese Band doch irgendwie hat vermissen lassen: Eine gleichzeitig wütende, traurige, merkwürdig echte, angstvolle und fast resignierte Platte wie "After the Eulogy" aufzunehmen. Aber vielleicht wachsen sie ja wieder rein in diese Größe.
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